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Montag
03.10.2016

Vermarktung

Nachdem Facebook eine Abweichung von 60-80% bei den Reportings zugeben musste, erhöhen nun Werbeauftraggeber den Druck auf die Online-Konzerne. Wieso vertraut die Branche bei den Grossen im Online-Geschäft blind auf Selbstdeklarationen und Konzerntools?

Bereits vor Wochen hat Facebook festgestellt, dass die Videostatistiken wohl seit über 2 Jahren fehlerhaft ausgewiesen wurden. Die «Average Duration of Video Views», also die durchschnittliche Videonutzungszeit, lag 60-80% zu hoch.

Facebook hat bei der Berechnung des Wertes nur Videos mitgezählt, welche mehr als 3 Sekunden angeschaut wurden. Statt auf breiter Front darüber zu informieren, wurde die Info «leise durch die Hintertüre» im «Advertiser Help Center» publiziert und  handverlesene Mediaplaner direkt informiert.

Erst nachdem das Wallstreet Journal, aufgeschreckt durch den Newsletter von Publicis Media USA , den Fehler am 22. September öffentlich machte, hat Facebook Stellung genommen.

Sandro Prezzi, Mediaexperte und Geschäftsleiter von Prezzi Media Consulting, kommentiert für den Klein Report. Bei ihrer Entschuldigung hat Carolyn Everson (Vizepräsidentin für Global Marketing Solutions) betont, dass der Fehler keinen Einfluss auf die Werbeschaltungen, den ROI oder die Verrechnung habe.

Naja, Fakt ist aber, dass viele Werbekunden gerade wegen der ausserordentlich hohen Video-Nutzungsdauer sich dazu verleiten liessen, höhere Budgetanteile aus anderen Medien wie auch dem klassischen TV nach Facebook zu verschieben. Das hatte sehr wohl Einfluss auf den ROI - positiv mit Sicherheit  für den ROI von Facebook.

Es geht um mehr als nur einen Berechnungsfehler. Was bei den klassischen Medien längst selbstverständlich ist, bleibt bei den Online-Medienkonzernen die Ausnahme. Weder Facebook noch Google lassen unabhängige Leistungsmessungen (sog. Third-party Measurement) zur Validierung der Werbeauslieferung zu. Die verfügbaren Daten sind Eigendeklarationen. Werbeauslieferung, Userzahlen, Nutzungshäufigkeit, -dauer und -zeit, Klickraten, Nutzer Segmentation, nichts davon lässt sich nachprüfen.

Von den Agenturen werden diese Konzern-Daten jedoch als harte Fakten präsentiert. Sie dienen auch als Basis zur Rechnungsstellung.

Facebook Schweiz – mehr User als Einwohner. Wozu unkritischer Umgang mit Eigendeklarationen führen kann, zeigen zum Beispiel die von Bernetblog (PR Agentur) und Equipe (Online Agentur) vierteljährlich publizierten Facebook-Userzahlen Schweiz. Die Zahlen vom 8. Juli 2016 halten dem ersten kritischen Check nicht stand.

Beispiel: Die angeblichen 1,1 Millionen User im Alter von 20-29 Jahren übertrifft die ständige Wohnbevölkerung in diesem Alter um satte 44‘000 (Zahlen des Bundesamtes für Statistik). Die Reichweite der aktiven Facebook User liege in der Schweiz also bei 104%. Beachtlich, aber nicht glaubhaft. 

Die IGEM befragt mit dem digiMonitor die Schweizer regelmässig auch zur Social Media-Nutzung. Dort erreicht Facebook im gleichen Alterssegment eine Reichweite bei «mindestens gelegentlicher Nutzung» von knapp 75%.

Es wird höchste Zeit, dass auch Online-Medien professionellen Standards der Auditierung und Beglaubigung gerecht werden. Unabhängig validierte Leistungsmessung ist ein Must. Der Druck auf Facebook, Google und andere Online-Medien durch die Werbeauftraggeber Verbände steigt.

So verlangt auch Roland Ehrler, Geschäftsführer des Schweizer Werbe Auftraggeberverband SWA, «Transparenz, unabhängige Messung und Vergleichbarkeit der Leistungsparameter über verschiedene Medien und Angebote hinweg.» 

Werbeauftraggeber sollten im Eigeninteresse sicherstellen, dass sie genau wissen, wo, wie und wofür ihr Mediabudget ausgegeben wird. Eine glaubwürdige Leistungsmessung gehört zwingend dazu.

Darüber hinaus müssen Facebook und Google sich auch aktiv in die Branchenlösungen mit einbringen. Egal ob bei der unabhängigen Leistungsmessung, der Deklaration von Bruttowerbeausgaben oder dem Swiss Media Data Hub.

Als Anbieter mit namhaften Marktanteilen gehören Facebook und Google mit an den Tisch und der Transparenz verpflichtet. Ihre Absenz darf nicht länger toleriert werden. Und von den Online Agenturen wünscht man sich mehr kritische Distanz und Sicht fürs Ganze.