Die Story um jenen Journalisten, der bei der «Republik» und der «Wochenzeitung» (WOZ) Mitarbeiterinnen mutmasslich sexuell belästigte, geht in die nächste Runde: Im Zuge der hausinternen Aufarbeitung kam bei der WOZ ans Licht, dass es noch zu weiteren Übergriffen gekommen ist.
«Es tut uns leid, dass es in der Vergangenheit bei der WOZ zu Fehlverhalten gekommen ist. Die Betroffenen bitten wir dafür in aller Form um Entschuldigung – vor allem auch für die erlebte psychische Belastung und dafür, dass unser Betrieb keine vertrauensvolle Unterstützung gewährleisten konnte», entschuldigt sich die Genossenschaft Infolink, Herausgeberin der linken «Wochenzeitung», in einem am Mittwochabend online gestellten Statement.
Am 24. August 2023 machte der SRF-«Medientalk» publik, dass einem Journalisten, der bis vor rund sechs Jahren bei der WOZ angestellt war, von mehreren Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. In einem Fall aus dem Jahr 2014 betrafen die Vorwürfe auch seine Zeit bei der Genossenschaft Infolink.
Bei der Juristin Claudia Kaufmann, Expertin in rechtlichen Gleichstellungsfragen und bis 2020 Ombudsfrau der Stadt Zürich, gab die «Wochenzeitung» daraufhin eine Untersuchung in Auftrag. Bei ihr konnten sich aktuelle und ehemalige WOZ-Mitarbeiterinnen melden. Diese wurden auf die Meldestelle aufmerksam gemacht.
Kaufmann hat unter anderem auch die interne Revision der SRG im Zusammenhang mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung bei Radio Télévision Suisse (RTS) unterstützt. Der Schlussbericht der internen Revision zur SRG (Untersuchung 1), die den Zeitraum November 2020 bis 18. Juni 2021 erfasste, ist mit allen Anhängen 35 Seiten lang und hat es in sich und ist erschütternd.
Im Bericht zur SRG heisst es: «Allgemein entsteht der Eindruck, gemeldete Vorfälle seien als Störung des Systems wahrgenommen worden, als Ausnahmen, die die Regel bestätigen, dass sexuelle Belästigung im Unternehmen nicht vorkomme. Das Augenmerk lag daher vor allem darauf, das Problem möglichst schnell vom Tisch zu haben, zu bagatellisieren und kein Aufsehen zu erzeugen.»
Bei Radio Télévision Suisse (RTS), das in Teilen des untersuchten Zeitraums von Gilles Marchand geführt wurde, fühlten sich viele der betroffenen Angestellten von den Personen, an die sie sich wandten, wie Vorgesetzte und HR-Verantwortliche, nicht ernst genommen, nicht genügend unterstützt, allein gelassen. Sie hätten kein Vertrauen in Vorgesetzte und die Personalabteilungen, um sich an sie zu wenden. «Das zuständige HR sei ‚weit weg‘, wurde als ‚parteilich‘ und die Interessen des Arbeitgebers vertretend wahrgenommen», so der Bericht. «Distanz und wenig faktische Unterstützung wurden teils auch gegenüber SSM geäussert.»
Die Redaktion des Klein Reports berichtete ausführlich über den SRG-Fall. Das Unternehmen blockte auf praktisch allen Ebenen, mit allen juristisch ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Am Ende war keine Gesamtschau möglich.
Der Auftrag, den die «Wochenzeitung» der Untersuchungsbeauftragten mitgab, war denkbar weit gesteckt: Die Betroffenen konnten «jede empfundene Verletzung der persönlichen Integrität (namentlich Mobbing, Diskriminierung, sexuelle Belästigung) von 2005 bis heute» melden. Gemäss Claudia Kaufmann eine aussergewöhnlich lange Dauer.
Gemeldet bei Kaufmann haben sich in der zehn Wochen dauernden Meldefrist achtzehn Personen, «wobei nicht alle dieser Personen selbst eine Verletzung ihrer persönlichen Integrität erfahren haben», wie die WOZ in dem Statement weiter schreibt.
Was das mutmassliche Fehlverhalten des Ex-Mitarbeiters betrifft, decken sich die eingegangenen Meldungen gemäss dem nun vorliegenden Untersuchungsbericht von Claudia Kaufmann im Wesentlichen mit den bereits publik gewordenen Vorwürfen. Der Bericht empfiehlt, das damalige Verhalten der Genossenschaft, ihrer Gremien und der Beschäftigten aufzuarbeiten.
Neu ist aber: In dem untersuchten Zeitraum ab 2005 wurden weitere sexuelle Belästigungen publik, die durch andere Mitarbeitende der WOZ erfolgt sind.
«Zu diesen Vorfällen macht der Bericht aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sowie der zugesicherten Vertraulichkeit keine konkreten Angaben. Die WOZ verfügt über keine weiteren Informationen dazu. Die gemeldeten Erfahrungen gingen aber in die Empfehlungen des Berichts ein», heisst es weiter in der Stellungnahme.
Zu diesen Empfehlungen gehört die Einrichtung einer externen Meldestelle. Und auch in Sensibilisierung und Prävention will die Zeitung investieren.
Gemäss der Untersuchung von Claudia Kaufmann sind die internen Massnahmen und Reglemente der WOZ auch heute noch nicht ausreichend, um Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausreichend vor Verletzungen der persönlichen Integrität zu schützen.