Sexuelle Übergriffe sind wieder mal Thema in den Medien. In der Deutschschweiz wegen des ehemaligen Zürich-Chefs der Gewerkschaft Unia, in Deutschland wegen einem offenen Brief zum Alltagssexismus in der CDU. Gummibegriffe wie «Belästigung», «Affäre» und «Sexismus» werden exponentiell gebraucht, ohne wirklich etwas zu erklären.
Die Philosophin und Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli kommentiert das Thema für den Klein Report und zeigt auf, wie Macht und Sexualität zusammenhängen.
Immer, wenn es um Sex, Frauen und Sexismus geht, klingen fast alle Medienberichte wie aus den 1950er Jahren. Wenn ein Altherrenclub in Deutschland einen «Pflegehinweis für das Kaninchen» innerhalb der Partei rumreicht, um eine unbeliebte Kreisgeschäftsführerin zu mobben, wenn ein Kadermitglied einer der einflussreichsten Gewerkschaften seinen weiblichen Angestellten SMS mit, den Medienberichten nach, sexuellem Inhalt schickt, dann hat dies wenig mit Sex, «Belästigung», «Affären», «Geschlechterbeziehungen», «armen Männern», «empfindlichen Frauen», sondern mit Übergriffen, herrschender Politik und Macht zu tun.
Am weiblichen Körper manifestieren sich Politik, Geschichte, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. Diese Erkenntnis ist so einfach wie kompliziert. Kompliziert, weil die Techniken der Herrschaft meist nicht erkannt und delegitimiert werden. Statt die unsägliche alltägliche Gewalt gegen Frauen hier und überall zu thematisieren, redet man dann über die «süsse grosse Maus».
Jeder Medienbericht speist seine Funktion und Stabilität aus den herrschenden Marktmechanismen. Glücklicherweise sind sich diese grad am Ändern. Deshalb wäre eigentlich die ideale Zeit, um auch als Journalist endlich mal anders zu fragen und zu kommentieren, als einen Medien-«Skandal» nach dem anderen durchs Dorf zu treiben.
Die herrschende Medienunkultur zieht ihr Wirken aus der Pornografisierung des Alltags und der alles umfassenden Sexualisierung und damit der Warenwerdung des Menschen. Dieses ständige Rauschen geht am einzelnen Menschen nicht ohne Wirkung vorbei. Männer in Machtpositionen können sich alles leisten - vor allem in Zeiten prekärer wirtschaftlicher Verhältnisse und grosser sozialer Unsicherheit.
Frauen haben in diesem System nur die Möglichkeit der indirekten Macht: Mitmachen im falschen System, versuchen, Integrität zu bewahren, die eigenen Selbstzweifel ignorieren oder mit Intrige, Abwertung des eigenen Geschlechts, Hinterhalt und falscher Komplizenschaft zu reagieren. Oft quittieren Frauen diese schwierige wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation mit einem Rückzug ins Private.
Im Englischen gibt es den schönen Satz: «Why does a dog lick his willy?» Antwort: «Because he can.» Männer aller Schichten, jeden Alters, in allen denkbaren kulturellen, wissenschaftlichen, medialen Kontexten sind in Deutschland und in der Deutschschweiz meistens unter sich. Sie verteilen Zitate, Berufe, Auszeichnungen, Preise, Hierarchien, Aufstieg et cetera untereinander. Wohlverstanden: Ich rede nicht von «allen» Männern, sondern von denjenigen, welche die entscheidenden Posten besetzen.
Die «grosse, süsse Maus», das «Kaninchen-Brevier», sexuelle Avancen vom Chef gegenüber seinen Angestellten sind dabei nur Spitzen eines Eisbergs, der im Kern Frauenhass (übrigens oft von beiden Geschlechtern praktiziert) als konstitutives Element in sich trägt.
Im März 2016 stellte der aktuelle Bericht «Who makes the news» fest: 75 Prozent aller Nachrichten beschäftigen sich mit Männern. 97 Prozent aller Nachrichten tun so, als wären alle Frauen Mütter, Haus- und Ehefrauen oder Prostituierte. Egal wie viele Männer Teilzeit, egal wie viele Frauen berufstätig sind, die Medien bringen wieder und wieder alle Klischees.
Dahinter steckt das Problem der «süssen, grossen Maus» ebenso wie in der postmodernen Beliebigkeitsbewirtschaftung, dass nur noch irgendein Narrativ ohne Urteilskraft zählt. Die Gleichstellung von Täter und Opfer führt dann direkt zum «Victim blaming», zur Beschimpfung des Opfers.
So äussert sich ausgerechnet die Vorsitzende der Frauen-Union Mitte gegenüber der taz, dass Jenna Behrends «sehr offensiv auf Männer zugegangen» und ihnen nahegekommen sei, um «ihnen zu gefallen». Behrends selbst habe ihr - wiederum aus der Quelle der taz - von einer Affäre mit CDU-Generalsekretär Peter Tauber erzählt. Frage: Wer ein Verhältnis mit einem Mann hat, soll sich gefälligst auch Sexismus bieten lassen?
Tja, die CDU setzt jetzt eine Arbeitsgruppe ein.
Was wäre in Zukunft zu beachten? Sexismus und sexuelle Gewalt muss politisch und nicht persönlich kommentiert werden. Hinschauen ist gefragt: Wer ist abhängig von wem? Eines ist jedoch immer klar: Egal, wer was wie zur Sprache bringt: Der Körper, das Alter, die Kleidung et cetera derjenigen, die etwas sagt, sind dabei nicht entscheidend, sondern nur ihre Worte und Handlungen.
Darüber zu spekulieren, «die junge Frau» hätte den Brief geschrieben, «um sich für was auch immer zu rächen», wie dies der «Tagesspiegel» tut, ist deshalb ein Fall für den Presserat und eine Frage der Persönlichkeitsverletzung von Behrends. Zumal die Zeitung weiterfährt mit: «Wer das nicht aushält, sollte vielleicht besser die Finger von der Politik lassen.»
Im Klartext bedeutet dies: Frauen, wenn ihr euch in der Politik engagieren wollt, stellt euch auf sexuelle Übergriffe, Belästigungen und Sexismen ein, sonst bleibt doch lieber zuhause. Gleichzeitig bedauert der «Tagesspiegel», dass das «Risiko» zugenommen habe, «Anzüglichkeiten und verrutschte Sätze, auch wenn sie in Hinterzimmern geäussert wurden», zu denunzieren.
Dabei ist es sehr einfach. Treffen die genannten Beispiele von Behrends nicht zu, ist es den Beschuldigten freigestellt, Klage wegen übler Nachrede einzureichen. Dies ist jedoch auch nach Tagen des offenen Briefs nicht passiert.