Kurz vor der umstrittenen Volksabstimmung über die Einführung des Präsidialsystems mahlen die Mühlen der türkischen Justiz auf Hochtouren: Zig Prozesse gegen die insgesamt rund 150 inhaftierten Medienschaffenden sind dieser Tage in Gange, werden frisch aufgenommen oder fortgeführt. Man bekommt den Eindruck, als wollte Erdogan kurz vor dem Urnengang die noch schreibenden Journalisten einmal mehr auf Linie bringen.
Um ein Beispiel herauszugreifen: Am Diestag geht der Strafprozess gegen den Journalisten Erol Önderoglu in Istanbul weiter. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen die Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincanci, und der Kolumnist der Zeitung «Cumhuriyet», Ahmet Nesin. Önderoglu berichtete unter anderem auch für die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) über die Verhältnisse in der türkischen Medienlandschaft, was ihn zu einem wichtigen Gewährsmann macht.
Zur Last gelegt wird ihnen, dass sie an einer Solidaritätsaktion für die pro-kurdische Zeitung «Özgür Gündem» teilgenommen haben. Den Regierungsbehörden ist die Zeitung ein Dorn im Auge, die Staatsanwalt wirft den drei Angeklagten «Propaganda für eine terroristische Organisation» vor.
Als der Strafprozess im November losging, hatte Önderoglu die Anschuldigungen gegen ihn zurückgewiesen und betont, er habe nur sein Recht auf Meinungsfreiheit ausgeübt. Sein Antrag, die Anklage fallen zu lassen, stiess beim Gericht auf taube Ohren.
Verhaftet worden waren die drei Journalisten im Juni 2016. Sie hatten, wie Dutzende andere Medienschaffende und Prominente auch, jeweils symbolisch für einen Tag den Posten des Chefredaktors von «Özgür Gündem» übernommen, um ihre Solidarität mit der Zeitung zu demonstrieren, die im Kreuzfeuer der Regierungsbehörden stand.
Ende Oktober ist die Redaktion des Blattes per Regierungsdekret dann geschlossen worden. Von den 50 Menschen, die sich während der Sommermonate 2016 für die Zeitung eingesetzt hatten, stehen heute laut ROG 38 vor Gericht. 13 sind bisher verurteilt worden, wie etwa der Menschenrechtsaktivist Sanar Yurdatapan oder der Verleger Ibrahim Aydin Bodur. Sie erhielten wegen «Terrorpropaganda»15 Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 6000 Lira (etwa 1400 Franken).
Eine zweite Grossgruppe von den zurzeit total etwa 150 inhaftierten Journalisten bilden die Anhänger der Gülen-Bewegung. Rund 80 sitzen im Gefängnis, weil die Behörden ihre Medien als Unterstützer des Predigers Fethullah Gülen betrachten, welchen Präsident Recep Tayyip Erdogan als Drahtzieher des Putschversuchs bezichtigt.
Das Verfahren gegen eine erste Gruppe der Inhaftierten von angeblich Gülen-freundlichen Medien wurde erst am 10. März eröffnet. Unter ihnen befinden sich Aytekin Gezici und Abdullah Özyurt, denen die Staatsanwaltschaft «Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation» vorwirft, worauf bis zu zehn Jahre Haft stehen. Am 27. März beginnt zudem der Prozess gegen weitere Journalisten, darunter Murat Aksoy und Atilla Tas. Vorwurf: dito.
Dass zum Beispiel Gezici und Özyurt schon seit acht Monaten in Haft sitzen, legt nahe, dass der Auftakt ihres Strafprozesses im Zusammenhang steht mit der Volksabstimmung von Mitte April, mit welcher Gewaltenteilung und Parlament geschwächt würden.
Mitarbeiter von ROG, die mit viel Akribie die Situation der türkischen Medienschaffenden laufend dokumentieren, haben sich in einzelnen Verfahren auch als Prozessbeobachter in die Gerichtssäle gesetzt. «Die Anklagen und Vorwürfe waren geprägt von Ungereimtheiten und suggerieren einen politischen Einfluss auf das Justizsystem», fassen sie ihre Eindrücke zusammen.
Ein besonders groteskes Müsterchen: Im Verfahren gegen Journalisten der Zeitung «Taraf» las sich die Anklageschrift, «als sei sie wortgleich von einem Fall gegen Can Dündar kopiert worden. Selbst sein Name stand noch im Text.»