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Sonntag
29.10.2006

Medien / Publizistik

Am zweiten Tag der Bieler Comdays berichteten Kommunikationsbeauftragte über Erfahrungen aus den Wahlen in Deutschland und PR-Konzepte für noch bevorstehende Wahlen in Frankreich. Einschlägige Beobachtungen aus den USA erläuterte der ehemalige Schweizer Botschafter in Washington, Alfred Defago. Der Diplomat wies darauf hin, «dass neue Medien wie Weblogs bei der Wählermobilisierung in den USA eine zunehmend ernst zu nehmende Rolle spielen».

Über mögliche Schlussfolgerungen ein Jahr vor den Schweizer Parlamentswahlen diskutierten anschliessend Experten und Expertinnen aus Politik- und Sozialwissenschaft sowie aus der Praxis. Bedeutung und Nutzung des Internets bei politischen Kampagnen seien in der Schweiz, verglichen mit den USA, «wohl unterentwickelt, im Vergleich zu Italien oder Frankreich jedoch respektabel, wenn man die spärlichen Mittel dafür hierzulande berücksichtigt», urteilte Regula Stämpfli, Politologin und Dozentin an diversen Schweizer und europäischen Universitäten. Stämpfli verwies dabei auch auf die üppige staatliche Parteienfinanzierung in Deutschland. Der Direktor für Politikwissenschaft an der Universität Genf, Pacal Sciarni, bezweifelte dagegen und bis auf weiteres zumindest, «ob das Internet in der Schweiz wirklich nachhaltige Auswirkungen auf Wahlverhalten und -Beteiligung hat».

Für den Kommunikationsberater Victor Schmid «spielen die traditionellen Medien in der Schweiz bei politischen Debatten und Kampagnen nach wie vor eine massgebliche bis entscheidende Rolle». Neue Medien oder Kommunikationsstrategien hätten dagegen «noch kaum Bedeutung».

Es sei «weniger eine Frage von alten oder neuen Kommunikationsmitteln», so Kurt Imhof, Leiter des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft an der Universität Zürich, sondern ein «Problem der Personalisierung und Stilisierung in der politischen Kommunikation». Imhof befürchtet, dass «Politikinszenierung im bevorstehenden Wahlkampf 2007 einen neuen Höhepunkt erreicht, was zu einem Verlust an wirklichen Debatten und politischen Inhalten führen wird». Auch Regula Stämpfli ist überzeugt, «dass uns diese Personalisierung von Politik in einem Jahr zum Halse raushängen wird» und obendrein «unsere Institutionen wie die politische Kultur zu untergraben droht».

Imhof spitzte solche Szenarien noch weiter zu. Der Soziologe erläuterte seine Definition vom «politischen Personal» und somit von «Leuten, die keine eigene Entscheidung mehr treffen und nur noch nach dem Opportunitätsprinzip handeln können». Ausserdem konstatiert Imhof eine «charismafeindliche Kultur in der Schweiz». Der Wissenschaftler beobachtet ferner einen «Aufmerksamkeitswandel seit den 60er-Jahren - weg von der Legislative hin zur Exekutive». Und insbesondere die elektronischen Medien wie Radio und TV hätten «diese Entwicklung noch beschleunigt».

Vom «Verdruss als Leitmotiv» sprach auch Regula Stämpfli und wies darauf hin, dass «das Vertrauen in die politischen Institutionen der Schweiz noch nie so gering war». Einig war sich die Runde in der Einschätzung, wonach die Entwicklung der Politikvermittlung «Parteien begünstigt, die am Rand hemmungslos polarisieren können»: Probleme haben dagegen «Parteien der Mitte, die differenzieren müssen». Victor Schmid empfahl diesen, «ebenfalls einfache wie verständliche Botschaften zu gebrauchen».

Die anschliessende «Elefantenrunde» der Parteipräsidenten mit einer Vertreterin der FDP konnte die vorgängigen Befürchtungen der Fachleute zur politischen Kommunikation im Wahljahr 2007 nicht wesentlich entkräften.