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Donnerstag
25.08.2022

Medien / Publizistik

Krieg, Zerstörung, Drohungen: «Unsere Chefin durfte nur zwischen Zusammenarbeit, lebenslanger Haft oder Todesstrafe wählen», erzählt die ukrainische Journalistin Olena. (Name anonymisiert; Bild © Wikipedia)

Krieg, Zerstörung, Drohungen: «Unsere Chefin durfte nur zwischen Zusammenarbeit, lebenslanger Haft oder Todesstrafe wählen», erzählt die ukrainische Journalistin Olena. (Name anonymisiert; Bild © Wikipedia)

Medienschaffende, die in den besetzten Gebieten der Ukraine ausharren, werden systematisch von den russischen Streitkräften verfolgt und zur Zusammenarbeit mit den Propagandabehörden gezwungen.

«Der Kreml will in den von ihm kontrollierten Städten seine Propaganda verbreiten und zwingt Journalistinnen und Reporter zur Zusammenarbeit. Wer dem offiziellen Diskurs des Kremls widerspricht, muss mit schärfsten Konsequenzen rechnen», dies berichtete Reporter ohne Grenzen (RSF) am Mittwoch.

Stellvertretend für die neuen Lebensbedingungen der Medienschaffenden in den von Russland kontrollierten Gebieten steht das Schicksal der 37-jährigen Olena aus der Region Luhansk. Was die ukrainische Jouranlistin der Journalistenorganisation per Telefon erzählt hat, ist haarsträubend. 

«Anfang März besetzte die russische Armee unsere Stadt. Die Mobilfunkverbindungen wurden unterbrochen und das ukrainische Fernsehen durch russische Kanäle ersetzt, welche Propaganda ausstrahlen. Internet hatten wir nur noch über Festnetzanschluss. In einer kleinen Stadt wie der unseren kennt dich als Journalist jeder. Es war unmöglich, wie früher zu arbeiten. Es war unmöglich, nicht der Selbstzensur zu verfallen. Ich mied alles, was als antirussisch gelten könnte. Ich hatte wirklich Angst, ich verliess kaum das Haus», erzählt Olena.

Und weiter: «‘Folgen Sie uns, wir müssen mit Ihnen sprechen. Ihr Beruf, Sie verstehen.‘ Mit diesen Worten hielt mich am 1. April ein Mann in Militäruniform an, als ich mein Haus verliess. Ich musste ihnen meinen Laptop und mein Handy geben. Sie brachten mich in einem Auto ohne Nummernschild weg und zwangen mich, meine Augen mit einer chirurgischen Maske zu bedecken. An einem Gebäude angekommen – ich erfuhr später, dass es sich um das Hauptquartier der Mitarbeiter des MGB (Ministerium für Staatssicherheit der Luhansker Volksrepublik) handelte – musste ich auf einem Stuhl sitzend mit dem Gesicht zur Wand warten. Dann wurde ich mit einem Kleinbus nach Luhansk gebracht. Trotz der Maske erkannte ich bei einem Seitenblick den Schal einer Kollegin. Ich war wie gelähmt vor Angst, mein Kopf war leer.»

Es folgte ein Verhör: «Ich wurde sechseinhalb Stunden lang allein über mein Leben und meine Arbeit verhört. Mein Geburtsort, was ich studiert habe, mein Gehalt... Triviale Details! Die gleichen Fragen, immer und immer wieder. Sie waren zu viert, ein netter, zwei, die immer wieder mit aggressiven Fragen in den Raum stürmten, und schliesslich ein ziemlich betrunkener Mann, dessen Kommentare unzusammenhängend waren. Ich weiss nicht, wie ich es geschafft habe, die Fassung zu bewahren. Mir war heiss, aber sie liessen mich meinen Mantel nicht ausziehen. Auch Wasser gab es nicht.»

Als sei sie eine Verbrecherin, landete die Journalistin in einer Gefängniszelle, zusammen mit einer Kollegin und ihrer Redaktionsleiterin, die einige Tage zuvor verhaftet worden war.

«Die Russen stellten uns drei Optionen zur Wahl: Gefängnis, Abschiebung oder Kollaboration. Eine Antwort wurde am nächsten Morgen erwartet. Für mich war Abschiebung keine Option, weil ich nicht genau wusste, wie diese aussehen sollte und wo wir freigelassen würden. Wir hätten durchaus an einem Checkpoint zurückgelassen werden können, um am nächsten wieder festgenommen zu werden. Unsere Chefin durfte nur zwischen Zusammenarbeit und lebenslanger Haft oder Todesstrafe wählen. Mit Angst im Bauch entschieden wir uns für die Kollaboration.»

Ein oder zwei Wochen seien drei Männer in Uniform, einer davon vermummt, in die Redaktion gekommen und hätten die Computer durchsucht. «Sie wollten sicherstellen, dass wir ihre Informationen auf Facebook und Telegram verbreiten – ein echtes Einschüchterungskommando. Wir mussten jeden Tag drei Artikel von der Nachrichtenagentur der LNR (Luhansker Volksrepublik) posten. Wie eine Verwaltungsabteilung waren wir darauf reduziert, diese Propaganda, welche die Erfolge der Besatzer oder die Ernennung irgendwelcher Verwaltungsbeamten feiert, zu verbreiten.» 

Olena war innerlich zerrissen: «Wie können wir das akzeptieren? Wir lebten in der Angst, einen falschen Schritt zu machen und verhaftet zu werden. Der Druck war unaushaltbar. Ich wusste, dass ich fliehen musste, aber wie? Der Soldat, der mich in Luhansk verhörte, hatte angedeutet, dass es eine Liste von Personen gibt, die die besetzte Zone nicht verlassen dürfen.»

«Als mir ein ehemaliger Kollege, der mit dem Pressedienst der russischen Besatzungsmacht zusammenarbeitete, einen Job anbot, lehnte ich das Angebot ab. Fünf Tage später tauchte ein Mann in Uniform in meinem Viertel auf, der nach mir suchte und meine Nachbarin befragte. Um meiner Sicherheit willen konnte ich nicht länger dort bleiben, ich musste auch unsere Zeitung schützen. Unsere Partner sahen das auch so und flehten mich an zu gehen. Kurz darauf floh ich.» 

Seitdem arbeitet Olena als Redaktorin bei einem anderen ukrainischen Medium. Ihr richtiger Name bleibt aus Sicherheitsgründen anonym.