Die Aktivistin gegen sexuelle Gewalt Nadia Murad und der kongolesische Arzt Denis Mukwege sind gemeinsam mit dem mit 860`000 Euro dotierten Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden. Zwei Menschen erhalten damit den Preis für ein politisches Engagement, das sie gesellschaftlichen Konventionen und Traditionen zum Trotz ausüben.
Für den Klein Report kommentiert die Historikerin Regula Stämpfli den Preis, der auch als Zeichen der veränderten Medienberichterstattung zu Krieg und sexueller Gewalt gewertet werden kann.
Sexuelle Gewalt wurde bis vor wenigen Jahren medial vorwiegend unter «Sex» abgehandelt. Der Herrschaftsaspekt, die fürchterliche Gewalt und Vergewaltigung als Mittel politischer Machtausübung, wurde von den meisten führenden Experten einfach ausgeblendet.
Der international renommierte Militärhistoriker John Keegan vertrat bis weit in die 1990er-Jahre die These der «biologischen Antriebe» für Massenvergewaltigungen. Noch im Frühsommer 2004 kreisten die Medienkommentare rund um das US-amerikanische Foltergefängnis Abu Ghraib vorwiegend um Sex, um Geschlecht und die Biologie.
Auch anlässlich der Friedensnobelpreis-Bekanntgabe 2018 untertitelte das Boulevardblatt «Bild»: «Ex-ISIS-Sklavin Nadia Murad und kongolesischer Arzt Denis Mukwege ausgezeichnet.»
Die meisten Medienberichte verkennen nach wie vor die «strategische Synthese von Geschlecht in Krieg und Gewaltsystemen» (Stämpfli 1999). Nadia Murad war keine «Sexsklavin», sondern sie wurde in einem System von Gewalt, das Frauen und Kinder zum Eigentum und zu Trägern der Kultur erklärt, zu vernichten gesucht.
In Kriegen verkörpern bis heute die Männer den «Staat» und alle Nicht-Soldaten die «Kultur». Moderne Kriege werden nicht gefochten, um Gebiete zu erobern, das auch, aber vor allem um den Feind zu vernichten. Dies erreichen die Streitkräfte, Milizen, Clans und Männerhorden vor allem dadurch, dass sie Frauen, Kinder und alte Menschen foltern und zerstören.
Bei sexueller Gewalt können sich die Täter oft sicher sein, dass die Opfer aus Scham nichts von ihrer Folter erzählen. Selbst die westliche Mediengesellschaft unterstützt diese Perfidie, indem sie die Folter- und Gewaltopfer auf intime sexuelle Handlungen reduziert statt auf machtpolitische Strategien.
Dies tun auch viele Gender-Aktivistinnen, die auf Biologie, die Opferposition des weiblichen Geschlechts und so weiter, hinweisen («Men are trash»), statt auf den öffentlichen und strukturellen Gewaltaspekten zu beharren. Mit anderen Worten: Folter, Gewalt und Mord werden mit dem Hinweis auf «Sex» und Geschlecht völlig falsch konnotiert, so dass die Opfer zusätzlich stigmatisiert werden.
Nadia Murad hat sämtliche Barrieren der Erzählweisen gebrochen: Die der Medien, aus ihr eine «Sexsklavin» zu machen, die der Gewalttäter, die mit der Scham von Frauen rechnen und darin oft von völlig fehlgeleiteten Expertinnen auch noch in diesem Narrativ bestärkt werden.
Was Nadia Murad widerfahren ist, hat nichts mit Sex, sondern nur mit gegen Menschen gerichtete Gewalt, Folter und Unterdrückung zu tun. Nadia Murad setzt sich auch gegen unzählige westliche Gender-Aktivistinnen durch, indem sie das religiöse Regime, das nichts mit Kultur zu tun hat (wie viele Poststrukturalistinnen gerne behaupten) als Gewaltregime entlarvt und jede religiös bestimmte Züchtigung der Frauen als Macht und Unterdrückung definiert.
Sie straft auch alle Kommentatoren, die nun die Tortur «als Würdigung für die #MeToo-Bewegung gegen sexuelle Belästigung» interpretieren. Denn Nadia Murad hielt in ihrer ersten Rede vor der UN 2016 fest, dass es sich bei Folter und Gewalt an Frauen um «Völkermord» handelt. Darum geht es und um nichts anderes.
Dass Folter, Gewalt und Unterdrückung an Frauen als Kriegswaffe eingesetzt werden, dagegen wehrt sich auch Denis Mukwege, dem es auch nie im Traum in den Sinn kommen könnte, diese Gräueltaten auch nur irgendwie mit «Sex» in Verbindung zu bringen.
Denis Mukwege und Nadia Murad haben den Friedensnobelpreis 2018 mehr als verdient.