Eine einmalige Geschichte im deutschen Boulevard-Journalismus. Die Zeitungen «Bild» und «B.Z.» haben eine vermeintliche Skandalstory frei erfunden. Nun publizieren sie eine grosse Entschuldigung und müssen eine hohe Entschädigung bezahlen.
Die Vorgeschichte: Die Zeitungen «Bild» und «B.Z.» hatten im November 2024 in mehreren aufeinanderfolgenden Berichten unter anderem die Behauptung aufgestellt, die Polizistin Judy S., die sich zu der Zeit als stellvertretende Gesamtfrauenvertreterin der Polizei Berlin beworben hatte und schliesslich auch gewählt wurde, sei in Wirklichkeit eine Transfrau.
Drogen, Sex und Penispumpe – alles erfunden. Mehr noch: Sie habe beim Sex in ihrer Wohnung zwei Männer unter Drogen gesetzt und missbraucht, unter anderem mit einer Penispumpe.
Die Springer-Zeitungen schrieben nun dazu: «Keine dieser Behauptungen war zutreffend. Sie sind widerlegt. Der Redaktion ist bewusst, dass sie Judy S. mit ihrer Berichterstattung grossen Schaden zugefügt hat. Dafür bitten wir um Entschuldigung. Die Redaktion.»
Auch auf bild.de steht die Richtigstellung am Donnerstag ganz oben auf der Seite, in der gedruckten Bundesausgabe steht sie als Aufmacher auf Seite 3.
Und vor Gericht hat man sich offenbar auf einen Vergleich in Höhe von 150'000 Euro geeinigt. Christian Schertz, der Anwalt der Polizistin, spricht von einem «unfassbaren Fall» und erinnert an Heinrich Bölls Roman «Die verlorene Ehre der Katharina Blum», in dem eine Frau der Sensationsgier der Boulevardpresse zum Opfer fällt.
Entschädigung und Richtigstellungen der Zeitungen aus dem Axel-Springer-Konzern unter CEO und Mitinhaber Mathias Döpfner folgen einer Rüge des Presserats und einer Reihe von Entschuldigungen durch «Bild».
Noch vor Weihnachten wurden die Artikel gelöscht, in der ersten Entschuldigung der Redaktion hiess es, vergleichsweise lapidar, dass «handwerkliche Fehler unterlaufen» seien, «die uns nicht hätten passieren dürfen. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler».
Wesentliche Fakten der Berichterstattung seien unzutreffend und man bitte die Beamtin um Entschuldigung. In einer zweiten Entschuldigung der Chefredaktorin Marion Horn wiederholte sich dieser Wortlaut, ergänzt wurde, dass ein Ermittlungsverfahren, das gegen die Polizistin lief, nun eingestellt sei. «Grund: Es gab keinen hinreichenden Tatverdacht gegen die ehemalige Beschuldigte.»
Marion Horn, Chefredaktorin der Boulevardzeitung, meldete sich am Mittwochabend via LinkedIn zu Wort. «Bild steht für Klartext. Für Haltung. Für Mut zur Wahrheit.» Mut zur Wahrheit bedeute auch: «Wenn wir Fehler machen, dann stehen wir dazu. Im Fall ‚Judy S.‘ haben wir versagt. Punkt. Es tut weh, das so klar hinzuschreiben.»
Bis zu diesem Punkt klingt der Wortlaut, als befände sich die «Bild» auf einer unerwarteten Transparenzoffensive in Sachen Fehlerkultur. «Ich weiss, wie hart und exzellent mein Team arbeitet. Aber über Judy S. haben wir komplett falsche Informationen verbreitet.»
Man übernehme persönlich und finanziell Verantwortung. Auf die Frage der «Süddeutschen Zeitung», welche Schlussfolgerungen man aus dem Fall zieht, verweist ein Sprecher der Zeitung nur auf das Statement von Marion Horn.
Die Chefredaktorin nutzt es neben der Bitte um Verzeihung dezidiert für Eigenwerbung: «Bild mag manchmal zu laut oder zu albern oder zu streng sein. Aber wir stehen für Journalismus, der exklusive Nachrichten produziert. Nicht umsonst führen wir mit Abstand vor allen anderen Medien im Zitate-Ranking von MediaTenor.»
Für den Klein Report bleibt ein ernüchterndes Fazit: Den Versuch einer Bitte um Entschuldigung bei einem schwer geschädigten Opfer in Eigen-PR umzuwandeln, ist ein starkes Stück. Damit setzt die «Bild»-Zeitung neue Massstäbe.