Führt die Verrechtlichung dazu, dass Medien vor polarisierender Berichterstattung zurückschrecken, provokative Titel vermeiden und alles in allem weniger «heisse Themen» aufdecken? Darüber reflektierte Simon Canonica, der noch bis Ende Mai als Rechtskonsulent der Redaktionen bei Tamedia im Amt ist, an der Medienrechtstagung.
Mit seinen genauso scharfsinnigen wie auch unterhaltsam-pointierten Aussagen stiess Canonica, der nicht nur mit seinen zerzausten Haaren aufgefallen ist, manch einen der anwesenden Juristen und Anwälte vor den Kopf: So bezeichnete er, stets spitzbübisch lachend, etwa Richter als «visionslose Rechtsverwalter», die in ihrem eigenen «juristischen Denkkorsett» gefangen seien.
Ein Beispiel gefällig? Im Fall eines Artikels des «Tages-Anzeigers» mit der Überschrift «Die eingebildete Astronautin» sinnierte das Bundesgericht über den Begriff «Hochstaplerin», der im Bericht verwendet wurde. Nachdem die Richter unter anderem die Brockhaus-Enzyklopädie konsultierten und auf das Verständnis des «unbefangenen Durchschnittslesers» abstellten, kamen sie zum Schluss, dass diese Bezeichnung «ehrverletzend» sei.
«Richter und Gerichte reflektieren wenig über den Medienwandel», ist Canonica deshalb überzeugt. Nur allzu oft gingen Richter mit den Medien hart ins Gericht, wobei im Prozess das Prinzip «Kläger gleich Opfer» und «Journalist gleich Täter» gelten würde. Dabei vergessen die Richter den zunehmenden Zeitdruck auf vielen Redaktionen: Nicht jedes Wort, jeder Abschnitt und jeder Artikel könne wasserfest durchformuliert werden.
Dass den Journalisten und Redaktionen über Anwälte Prozesse angedroht werden, führe nach Ansicht Canonicas in der Kombination mit dem zunehmenden Spardruck bei Redaktionen auch dazu, dass kaum noch provokative Titel gesetzt werden oder dass sogar ganz auf «heisse Stories» verzichtet werde. Im Zweifelsfall lieber keine Berichterstattung, anstatt eine Anklage wegen Persönlichkeitsverletzung in Kauf zu nehmen.
Ein Fall wie derjenige von Carl Hirschmann, in dem seine Anwälte 140 Berichterstattungen von Tamedia beanstanden, sei die Ausnahme, da in vielen Fällen bereits die Androhung eines Prozesses ausreichen würde. «Alleine die Gerichtskosten belaufen sich in diesem Fall auf 100 000 Franken. Hinzu kommen noch die Anwaltskosten», erklärt Canonica ein weiteres Argument, warum sich Gerichtsverfahren, die zudem auch noch viel Zeit in Anspruch nehmen, eigentlich gar nicht lohnen.