Mit einer amüsanten Glosse hat sich die Online-Version des deutschen Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» am Mittwoch des Konjunktivs und anderer aussterbender Sprachphänomene angenommen. Unter dem Titel «Der traurige Konjunktiv» schreibt Bastian Sick unter anderem: «Vergnügt schlendern Vater und Sohn durch den Sprachzoo. Ehrfürchtig verharren sie vor dem Käfig mit der Aufschrift «Genitiv - Bitte nicht erschrecken!», spazieren weiter zum «Ph»-Gehege, wo sie so selten gewordene Wörter wie «Photographie» und «Telephon» bewundern, lassen sich vom Wärter erklären, dass es mit der Fortpflanzung der beiden letzten Eszetts auch in diesem Jahr wieder nicht klappen werde, und kommen schliesslich vor dem Käfig mit dem Konjunktiv an. «Der sieht immer so traurig drein», sagt der Sohn voller Mitgefühl, «der kann einem richtig Leid tun!» - «Er würde sich bestimmt wohler fühlen, wenn es jemanden geben würde, der sich mit ihm unterhalten würde», sagt der Vater. Daraufhin stösst der Konjunktiv einen herzerweichenden Klagelaut aus. Der Sohn nickt und sagt: «Vielleicht fühlte er sich tatsächlich wohler, wenn es jemanden gäbe, der sich mit ihm unterhielte.» Da hebt der traurige Konjunktiv den Kopf, schaut den Jungen an und lächelt dankbar.
Dabei kann man nun wirklich nicht behaupten, der Konjunktiv sei eine unbedeutende Randerscheinung in der deutschen Sprache. Die Grammatikwerke widmen ihm seitenlange Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln und weisen ihm nicht weniger als drei wichtige «Funktionsbereiche» zu, in denen er zum Einsatz kommt.
Da wäre zum einen der «Wunsch»-Bereich («Er lebe hoch!», «Mögen ihre Mägen in der Hölle schmoren!»), zum zweiten der Bereich des Unmöglichen und des Unter-bestimmten-Bedingungen-doch-Möglichen («Das hätte ich an deiner Stelle besser nicht gesagt», «Wir wären schneller fertig, wenn du mal mit anfassen könntest!») und zum dritten der Bereich der indirekten Rede.
Der Bereich «Wunsch», der auch jede Form der Aufforderung mit einschliesst, ist noch relativ überschaubar und verursacht nicht allzu grosse Probleme. Man braucht nur ein Kochbuch aufzuschlagen, schon steckt man mitten drin: «Man nehme drei Eier, schlage sie auf, trenne das Eiweiss vom Dotter und gebe das Eiweiss in einen sauberen, fettfreien Rührtopf.»
Der zweite Bereich hingegen ist alles andere als überschaubar. Dort hat man es zudem nicht nur mit einer Form des Konjunktivs zu tun, sondern gleich mit zweien. Man unterscheidet zwischen Konjunktiv I (er habe, sie sei, du werdest) und Konjunktiv II (er hätte, sie wäre, du würdest). Der Konjunktiv II ist immer dann gefragt, wenn es gilt, etwas Hypothetisches zum Ausdruck zu bringen («Hätte ich deine Figur, könnte ich alles essen, was ich wollte!»), einen irrealen Vergleich anzustellen («Sie tut ja gerade so, als ob sie schüchtern wäre!») oder Zweifel anzumelden: «Zwar hiess es, die Polizei hätte jeden Winkel im Umkreis von zehn Kilometern abgesucht, aber die Angehörigen gaben sich damit nicht zufrieden und machten sich selbst auf die Suche.»
Eine nach wie vor wesentliche Rolle kommt dem Konjunktiv in der indirekten Rede zu. Tagtäglich sind im deutschsprachigen Raum ganze Heerscharen von Journalisten damit beschäftigt, die Worte von Politikern, Managern, Prominenten und Sachverständigen in indirekte Rede umzuschreiben, und dabei wird aus jedem Indikativ («Ich bin überzeugt, dass wir dieses Spiel gewinnen werden!») ein Konjunktiv («Er sagte, er sei überzeugt, dass seine Mannschaft dieses Spiel gewinnen werde»). Da die Arbeit von Journalisten zum überwiegenden Teil darin besteht, die Worte von anderen mit ihren eigenen wiederzugeben, wimmelt es in Nachrichtentexten von Konjunktiven. Ich bin fast sicher, wenn Sie eine Zeitung nähmen und diese ausschüttelten, so fielen mehr Konjunktive als Indikative heraus. Die Beherrschung des Konjunktivs ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine Laufbahn im Journalismus. Oder - konjunktivisch ausgedrückt - sie sollte es sein.
Mittwoch
24.11.2004