Mit einer Tagung in Bern hat der Schweizer Presserat sein 25-jähriges Bestehen und das Jubiläum 30 Jahre «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» gefeiert. Statt Korkenknallen und Party-Stimmung stand ein ernstes Thema auf der Tagesordnung: Wie sieht der wirtschaftliche und politische Druck aus, dem Medienschaffende und Redaktionen heute ausgesetzt sind? Die vier Referentinnen und Referenten (Beat Allenbach, Christian Mensch, Christa Mutter, Werner A. Meier) kamen bei ihren Recherchen zu ähnlichen Schlüssen: Direkte, massive Druckversuche auf die Redaktionen durch Politik und Wirtschaft seien gegenüber früher seltener geworden. Hingegen führen strukturelle Verflechtungen - persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeiten im Redaktionsalltag - zu subtilen Formen der Einflussnahme auf Medieninhalte.
«Auch wenn Sie vielleicht gerne etwas anderes gehört hätten: Ich bin der Meinung, dass Medien heute Druckversuchen der Wirtschaft gegenüber resistenter sind als früher», sagte Christian Mensch, Medienredaktor der «Weltwoche», in seinem Referat. «...doch möchte ich aber auch noch den Warnfinger erheben. Ich glaube, die grösste Gefährdung der redaktionellen Unabhängigkeit droht durch zunehmende Verflechtung zwischen der Medienwirtschaft und der werbetreibenden Wirtschaft.» Medienunternehmen würden unter dem Stichwort Crossmedia beginnen, die Trennung zwischen publizistischer und kommerzieller Kommunikation aufzuheben. Derartige strukturelle Verflechtungen seien von den Journalisten nicht beeinflussbar. Ein Beispiel? Die Verflechtung zwischen dem Medienkonzern Ringier und dem Lebensmittelkonzern Coop, die gemeinsam die Marke Betty Bossi betreiben, so Mensch, Betty Bossi sei ein Zukunftsmodell.
Andere Töne schlug der frühere Tessiner Korrespondent des «Tages-Anzeigers», Beat Allenbach, an. Seine These: Der Wille zur journalistischen Unabhängigkeit werde im Tessin durch den Umstand, dass jeder jeden kenne, von vornherein stark beeinträchtigt. Zudem werde in den Tessiner Medien häufig eine temperamentvolle Kritik eines Politikers als deutlicher Wink verstanden, künftig zurückhaltender zu berichten. «Politiker versuchen Journalisten mit Freundschaften zu verführen, Kritik äussern sie durch die Blume», sagte ein anonymer Chefredaktor, der Allenbach in seinem Referat zitierte.
Fokus in die Westschweiz: Auch Christa Mutter, Westschweizer Korrespondentin verschiedener Deutschweizer Zeitungen, stellte in der Romandie in fast allen Redaktionen eine schleichende Marketingorientierung fest. Kleinere und grössere Druckversuche von Firmen und Verbänden gäbe es vor allem bei Lokalzeitungen. Geschenke und Vergünstigungen stellten allenfalls im Auto-, Reise-, Sport- und Gastrojournalismus ein Problem dar. Eher beeinträchtigt werde die Unabhängigkeit durch persönliche Beziehungen zu wirtschaftlichen und politischen Akteuren.
Laut dem Zürcher Medienwissenschafter Werner A. Meier ist das Thema «interner und externer Druck auf Medienschaffende» bis anhin wenig bis gar nicht bearbeitet worden. Die Forschung stosse mit ihren traditionellen sozialwissenschaftlichen Methoden rasch an Grenzen, sofern sich weder die dem Druck ausgesetzten noch die Druck ausübenden Akteure äussern wollten, so Meier in seinem Referat. Die Medienwirtschaft mobilisiere mannigfachen, oft subtilen Druck auf Journalisten. Das schränke die Leistungsfähigkeit des Journalismus ein. Allerdings liessen sich solche Probleme mit Qualitätsmanagement entschärfen.
Dienstag
12.11.2002