Die Offene Rennbahn in Oerlikon ist ein gesellschaftliches und sportliches Phänomen. Und sie steht für einen PR-Coup zwischen Felgen und Schraubenzieher. Am nächsten Dienstag ist sie die Bühne der grössten Oldtimershow der Schweiz.
Immer wieder dienstags. Dann kreisen in Oerlikon die Radrennfahrer, Pedaleurinnen und Steher. Und das älteste noch existierende Sportstadion der Schweiz wird zur Festbeiz und zum Dorfplatz.
Für 10 Franken erhalten alle Einlass: Autoverkäufer, Fotografen, passionierte Sportjournalisten, Eishockeyprofis, Bäckerlehrlinge, ehemalige Weltmeister, Rekruten, Schwamendinger, Sport-Romantiker – alle, die Sport sehen, ihr Flair für Nostalgie ausleben oder bloss ein Bier trinken wollen.
Einen Dresscode gibt es nicht. Und am Ende erhält der Sieger auf der Bahn einen Blumenstrauss und eine Prämie von 150 Franken.
Am 22. Juli ist aber alles etwas anders: grösser, lauter und hektischer – wenn im Rahmen von «Indianapolis Oerlikon» die grösste Oldtimer-Präsentation des Landes im Norden Zürichs gastiert.
Dann rasen Dutzende von alten Rennwagen, Motorräder und Seitenwagen durch die 45 Grad steilen Kurven, dann füllen 5'000 Zuschauer und Zuschauerinnen das Oval bis auf den letzten Platz, dann röhren die Motoren, dass es jedem Motorsportfan warm ums Herz wird.
Der Event geht auf das Jahr 2002 und eine Idee des früheren TV-Reporters und grossen Rennbahn-Freund Willy Kym (+) zurück. Der Ur-Oerliker suchte einst eine Möglichkeit, wie man die leicht verstaubte Sportanlage einem breiteren und neuen Publikum wieder in Erinnerung rufen konnte.
Kym, ein Mann mit breiter Vita, grossem Herz und immenser Sportaffinität, trugt die Idee einer Oldtimer-Exhibition an Rennsport-Romantiker Bernhard Brägger heran. Und geboren war der Event.
Mittlerweile zeichnet Georg Kaufmann für die Organisation mitverantwortlich. Der passionierte Rennfahrer garantiert mit seinem grossen Beziehungsnetz dafür, dass das Publikum die schönsten und spektakulärsten Gefährte weit und breit zu sehen kriegt.
Auf der Kommandobrücke steht aber derselbe Mann, der die Offene Rennbahn während des ganzen Jahres «managet» - Alois «Wisel» Iten. Der 80-jährige Betriebsleiter und Präsident der Interessensgemeinschaft Offene Rennbahn (IGOR), der in der Rennbahn eine eigene Werkstatt betreibt und schon die Zeiten mit Hugo Koblet und Ferdy Kübler erlebt hat, öffnet für den Klein Report die Buchhaltung und erklärt das «Geschäftsmodell».
Dieses basiert vor allem auf dem Einsatz der 28 freiwilligen Helfer, die sich Dienstag für Dienstag um jedes Detail kümmern – und dies mit einem teilweise grandiosen Aufwand.
Werner Kraus beispielsweise, Vorstandsmitglied der IGOR, lebt seit geraumer Zeit im französischen Colmar. Es ist für ihn aber Ehrensache, dass er jeden Dienstag rechtzeitig in Oerlikon parat ist. Dass er jeweils erst weit nach Mitternacht wieder zuhause ist, stört ihn nicht: «Die Rennbahn ist wie eine zweite Heimat», sagt er zum Klein Report, «meine Frau hat sich daran gewöhnt».
Gleiches gilt für Jeannette Luginbühl, die Witwe von Schrittmacher-Legende Ueli Luginbühl. Sie ist bei den «Freunden der Offenen Rennbahn» für die Finanzen zuständig und orchestriert unter anderem den Verkauf der (150 Franken «teuren») Saisonkarten. Mit über 300 abgesetzten Exemplaren meldet sie in dieser Saison «ausverkauft».
Diese Abonnemente sind auch beim Indianapolis-Event gültig. Sonst gelten aber andere Parameter als üblich.
Der Eintritt kostet das Doppelte (20 Franken) – dafür wurde mit dem italienischen Ex-Formel-1-Rennfahrer Arturo Merzario eine internationale Koryphäe als Stargast verpflichtet.
Wer Merzario von einem reservierten Platz auf der Haupttribüne beobachten will, muss 40 Franken bezahlen. Einen Tisch im Innenraum (für 10 Personen) gibt’s für 250 Franken. Kinder und Jugendliche bis 15 Jahren geniessen Gratiseintritt.
Es sind wahrlich moderate Preise. Und dennoch lohnt sich der Abend. Wisel Iten hofft auf 3'500 zahlende Gäste. Dies würde der Rennbahn Einnahmen zwischen 25'000 und 30'000 Franken in die Kasse spülen und deutlich über 10 Prozent des Jahresbudgets (rund 200'000 Franken) decken.
Einen Posten «Public Relations» gibt’s darin übrigens nicht. Das erledigt sich quasi von selber. «Der Star ist die Rennbahn», sagt Wisel Iten zum Klein Report.
Im wirtschaftlichen Gleichgewicht ist die Rennbahn so aber noch nicht. Bei einem jährlichen Mietzins von 30'000 Franken und Nebenkosten für Strom und Wasser von etwa 20'000 Franken sind die Werbepartner von zentraler Bedeutung.
Und da erweist sich Wisel Iten Jahr für Jahr als gleichsam unnachgiebiger wie erfolgreicher Verkäufer – auch weil er die Preise geschickt nach Platzierung des Werbeauftritts festlegt. Für eine Zweimeter-Reklame an der Bande des Ovals bezahlt man 250 Franken pro Jahr. Teurer wird es, wenn es um Flächen geht, die auch von ausserhalb der Rennbahn sichtbar sind. Dort kann der Preis auf bis zu 15'000 Franken steigen.
Seit dieser Saison gehört Automobilunternehmer Walter Frey zu den stolzen Werbepartnern der Offenen Rennbahn. Obwohl er damit vor allem den Radsport unterstützt, fühlt er sich auch als Automobilpatron im Zementoval heimisch. Schliesslich wurden hier in grauer Vorzeit auch Autorennen ausgetragen.
Nie wird dies deutlicher als am 22. Juli, wenn die tollkühnen Männer in ihren historischen Boliden über den Asphalt rasen und Oerlikon zu einem Vorort der grossen Automobilsport-Welt befördern.
Oder wie es in Indianapolis heisst: «Gentlemen, start your engines».