«Trara, die Post ist da! Trara, die Post ist da! Von Weitem hör ich schon den Ton. Sein Liedlein bläst der Postillon. Er bläst mit starker Kehle, er bläst aus froher Seele ...» Solch lieblicher Gesang klang am Montagabend durch die Gassen am Zürcher Rindermarkt. Etwa 80 aufrechte Bürgerinnen und Bürger versammelten sich am Neumarkt 11, um dem wahrlich historischen Akt der Einweihung des ersten privaten Briefkastens der Schweiz beizuwohnen.
Nachdem der Postillon mit seinem kreisrund gebogenen Posthorn die Welt vor der (möglicherweise) herannahenden Postkutsche gewarnt hatte, schritt Martin Brogli, Präsident des Quartiervereins Zürich 1 (rechts der Limmat!), vor den neuen blau-weissen Briefkasten. «Liebe Altstadt-Bewohner, wir treffen uns heute hier, um unseren neuen Altstadt-Briefkasten einzuweihen», erklärte er mit staatstragender Stimme. Die anwesenden lauschten gebannt, als Brogli den mühseligen, langwierigen Gang durch die Institutionen mit dem gelben Riesen beschrieb. «Nun ist ja auch die Schweizer Post globalisiert», fuhr er schmunzelnd fort, «viele Briefkästen sind verschwunden. Aber einer bleibt! Unser Quartierbriefkasten.»
«Sinn und Zweck unseres Briefkastens wird sich noch weisen», sagte Martin Brogli gegenüber dem Klein Report, der volles Vertrauen in die Kraft des Gemeinwesens hat. «Es ist schon etwas Spezielles, wenn so viele Leute zu einer Briefkasteneinweihung kommen», schmunzelte er. Damit alles seine Ordnung hat, wurde denen dann auch eine «Anleitung zum Quartierbriefkasten» abgegeben. Darin heisst es über den Briefkasten, der für alle da ist: «Der Briefkasten wird immer am Leermond unter Aufsicht eines Notars geleert», «freundliche Briefe werden freundlich beantwortet», «Briefe von Kindern werden sofort beantwortet», «Bettelbriefe werden zu Schiffchen gefaltet und auf die Limmat gesetzt», «obszöne Briefe werden sofort öffentlich verbrannt», «Rechnungen, Mahnungen und Betreibungen werden nicht beachtet», «Wünsche und Anregungen werden an den Quartierverein weitergeleitet» ... «Im übrigen gilt das Postgeheimnis».
Der Präsident des Quartiervereins war erst in Bern «an höchster Stelle», dann bei der «Region Zürich» der Post, «bis alles vertraglich geregelt war», erklärte Martin Brogli gegenüber dem Klein Report das Initialisierungsprozedere. Obwohl der Quartierbriefkasten nicht mehr gelb, sondern blau-weiss gehalten ist, habe man den offiziellen Pöstlern versichert, das fälschlich eingeworfene Briefe zur Einhaltung des Postgesetztes natürlich in die «Gelben» überführt werden.
Dass der erste private Briefkasten der Schweiz so schmuck aussieht, verdankt die neue Altstadt-Institution Maler Eppler, dessen Familienunternehmen seit 1905 im Zürcher Niederdorf ansässig ist. «Das Wappen habe ich vor 25 oder mehr Jahren einmal für den Quartierverein gezeichnet», erklärte Ernst Sigrist, der mit seinem Team von Sigrist Gravuren, Stempel, Schilder wiederum für die professionelle Beschilderung und die Gravur zuständig war. «Ich bin schon einen Tag drangesessen», sagte Sigrist dem Klein Report. «Aber ich glaube, dass wir das mit Herzblut gemacht haben, das sieht man», so Sigrist, der in der Zürcher Altstadt auch liebevoll «Altstadt-Blocher» genannt wird.
Linke, Rechte, ob Gewerbler, Freiberufler oder berufsmässige Intellektuelle, in der Sache «Briefpost» ist man vereint und versteht keinen Spass. Oder nur den eigenen: Und der heisst Dada! Es lebe der Quartierbriefkasten!