Abscheu und Verzückung geben sich in der politischen Wahlberichterstattung momentan die Hand. Die politischen Programme spielen keine Rolle mehr, sondern das Image allein zählt. Kolumnistin Regula Stämpfli schaut für den Klein Report etwas genauer hin.
«Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten»: Dieser Satz von Walter Benjamin beschreibt perfekt, was momentan in der politischen Berichterstattung passiert. Barack Obama nicht unähnlich, inszeniert sich Emmanuel Macron als Heilsbringer und Lichtfigur, und alle Mainstream-Medien folgen dem Skript «charismatische Herrschaft».
Macrons Phrasen von Hoffnung, Zuversicht und Zusammenhalt machen sein politisches Programm unsichtbar. Obama stand hier Pate. Er bleibt bis heute eine ikonografische Segensgestalt, die alles vergolden kann, selbst die unglaublichsten politischen Fiktionen: «Er konnte nicht anders.», «Er hatte keine Mehrheit.», «Er war der Präsident aller Amerikaner.», «Er meinte immer das Richtige.» etc. Barack Obama war deshalb kein Präsident, sondern der erste Bild-Heilige im 21. Jahrhundert.
Donald Trump war dann der zweite und Emmanuel Macron nun der Dritte. Ist nur das Image entscheidend, spielt es keine Rolle, ob jemand gut und schön oder hässlich und böse ist: Die Referenz bleibt dieselbe. Die falsche Referenz nämlich, dass die Person tatsächlich für die Demokratiegestaltung wichtig sei.
Schauen wir auf die letzten drei Jahrzehnte Wahlen in westlichen Demokratien, stellen wir fest, dass das Gegenteil der Fall ist. Nicht die gewählten Personen entschieden über die Politik, sondern die alten Machthaber, die sich immer schneller auch den technischen Neuerfindungen bedienten. Auf allen Ebenen dominieren Null und Eins. Die für die Demokratie konstitutiven Deliberationen passen dabei sprichwörtlich nicht ins Bild. Die der Demokratie gegenüberstehenden Obsession an «Identität», «Biologie», «Privat» und «Person» behält deshalb die altbekannten Ignoranten an der Macht und spült neue Anpasser ins Amt.
Die Heiligsprechung Obamas, die Lobpreisung des «glücklichen Ödipus» Macron (Zitat der Kulturwissenschaftlerin Barbara Vinken) verkörpern die eine Seite der Medien-Bild-Demokratie, die andere zeigt Donald Trump.
Schade dass dies die relevanten Medien noch nicht erfasst haben: Bilder sind nämlich nicht nichts, sondern durchaus mächtige Herrschaftsinstrumente. Sie portieren bildlich fiktionale Referenzen, die, wenn dabei die kritische Begleitung fehlt, in der Demokratie nichts zu suchen haben.
So löst eine Bild-Diktatur die andere ab, selbst die politischen Wissenschaften folgen dieser Logik. Was momentan mit uniformen Bildern und deren unkritischer Vervielfältigung passiert, widerspiegelt sich auch in Kampagnen. Das türkische Referendum, die Masseneinwanderungsinitiative, die Alleingangsinitiative, um nur einige zu nennen, und die spektakuläre Crowdfunding-Geschichte des neuen Magazins «Republik» ähneln sich in der Struktur der Kommunikation mehr als dies allen bewusst sein will.
Die «Republik» sammelte Geld, Mitglieder und Prominente, ohne auch nur eine einzige Zeile des Qualitätsjournalismus abgeliefert zu haben, den sie letztlich produzieren will. Die Personalisierung der Akteure, das Image, die Bilder genügten, um im Auktionsmarkt der ikonografischen Fiktionen erfolgreich zu sein. Mit richtig «geframten» und marktüblichen Bildern kann auch aus einem Kartoffelsack ein Millionengeschäft werden.
Seit Barack Obama mit seinem Gestus des Heilsbringers erfolgreich war und «Change» versprach, doch das Gegenteil tat, wird immer offensichtlicher, wie absurd erfolgreich die ikonografischen Fiktionen inklusive Referenzen und Diskurs dazu mittlerweile sind. Deshalb braucht die politische Berichterstattung dringend eine «Alphabetisierung des Blicks», das heisst eine kritische Auseinandersetzung mit den Bildern, die Geschichte und Politik machen.