Die Zeiten für die Schweizer Neutralität stehen nicht zum Besten. Auch das Produkt-Label «klimaneutral» ist in Verruf geraten.
Weltweit schmücken Unternehmen ihre Produkte mit dem Wörtchen «klimaneutral» – und versüssen dem wertebewussten Konsumenten damit den Genuss von Schoggi und Schampoo, einer neuen Elektro-Karosse oder eines Kurztripps auf die Azoren.
Die nun von der Schweizerischen Lauterkeitskomission gerügte angeblich «klimaneutrale» Fussball-WM befindet sich also in bester Gesellschaft.
Im Januar enthüllten «The Guardian» und «Die Zeit» zusammen mit der Nichtregierungsorganisation SouceMaterial, dass sich zahllose Unternehmen weltweit über Jahre mit Zertifikaten freigekauft haben, die viel weniger CO2 einsparen als versprochen.
In schiefes Licht rückte dabei vor allem das US-Unternehmen Verra, einer der führenden Anbieter von Klimazertifikaten. Gemäss den Recherchen der beiden Zeitungen mussten 94 Prozent der angerechneten CO2-Kompensationen im tropischen Regenwald als nichtig erklärt werden.
Schuld war, dass die Kompensationshändler die mutmasslichen Minderungseffekte falsch veranschlagten. Hinzu kam, dass viele der verrechneten Kompensationen sich gar nicht auf tatsächliche CO2-Speicherungen wie zum Beispiel durch Aufforstungsprojekte bezogen, sondern auf die angebliche Verhinderung von Abholzungsmassnahmen.
Es wurde angenommen, dass mit Zahlungen aus dem Zertifikatehandel Wälder erhalten werden konnten, die sonst gerodet worden wären – ein hochspekulatives Unterfangen.
Inzwischen haben die Kommunikationsverantwortlichen zahlreicher Unternehmen begonnen, die zelebrierte Klimaneutralität ihrer Produkte zu überdenken. Weil die Labels an Glaubwürdigkeit eingebüsst haben, werden kurzerhand neue lanciert.
In Deutschland hat die Deutsche Umwelthilfe Ende Mai vor dem Landgericht Karlsruhe gegen die mächtige Drogeriemarktkette dm geklagt. Sie will verhindern, dass ihre Produkte als «klimaneutral» beworben werden. Auch Rewe und Rossmann wollen in Zukunft das neue Unwort meiden.
Schweizer Traditionsmarken wie Ovomaltine, die Sigg-Wasserflaschen oder das Mineralwasser von Allegra-Passugger verzichten künftig auf das Wort «klimaneutral». Wie auch Lavera-Kosmetik oder Café Royal lancieren sie andere Lables: «Climate Partner-zertifiziert» ist eine der Neuerfindungen im grünen Label-Salat.
Der Klimalabel-Anbieter mit Sitz in München klassifiziert Unternehmen und deren Produkte. «Climate Partner-zertifiziert» ist als Formulierung zwar präziser.
Ob es auch besser fürs Klima ist, hängt vor allem davon ab, wie zuverlässig die «Climate Partner» den CO2-Ausstoss tatsächlich zu senken vermögen. Beim Schweizer Anbieter Myclimate heisst das Label neu: «Wirkt. Nachhaltig».
Die Europäische Union arbeitet zurzeit an einer Regelung für die Werbung mit Klima-Claims. Wer seine Produkte mit grünen Lorbeeren schmückt, müsste den Klima-Effekt in Zukunft belegen und sich gefallen lassen, dass dies eine unabhängige Stelle auch überprüft.