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Dienstag
22.12.2009

Medien / Publizistik

Wäre die Welt doch nur so einfach wie die «NZZ am Sonntag» am 20. Dezember 2009 mit ihrem spannenden Medienartikel «Tele-Blocher am Leutschenbach» erklärt!

Dann könnten wir mit der Entlassung des «Arena»-Moderators Reto Brennwald das Populistenhoch im Schweizer Fernsehen und in der Schweizer Politik beenden, die Rückkehr zur liberalen Schweizer Demokratie pflegen und uns um die wirklich wichtigen Themen der Gegenwart wie Migration, Wirtschaftskrise und wachsende aussenpolitische Isolierung der Schweiz kümmern! Die Politologin Regula Stämpfli hat sich gemeinsam mit Ursula Klein, Journalistin und Verlegerin des Klein Reports, ein paar Gedanken «zum Bösen der Banalität» gemacht. Der Kommentar:

Leider ist die Wirklichkeit jedoch komplexer als dies mediale Personalisierung und Skandalisierung vorschaukeln. Das Problem «Arena» liegt nicht einfach in der Person des Moderators oder in der Zusammensetzung seiner Redaktion, die den ewig gleichklingenden Plauderern teure Fernsehminuten gewähren, sondern in der Struktur der völlig verfehlten öffentlich-rechtlichen Medienpolitik, die dieses Land seit Jahren heimsucht.

Erstens wurde unter Ingrid Deltenre das Schweizer Fernsehen jeder inhaltlichen Konzeption und jeder demokratisch sensiblen Ausrichtung befreit. Politainment entleerte sich über Sendungen im SVP-Jargon à la «Classe politique» oder verblödete in Unterhaltungsformaten à la «Deal or No Deal». Zweitens verballhornte das einer Medienzukunft völlig untaugliche RTVG jede redliche Trennung von öffentlich und privat. Private Verleger wurden mit Almosen abgespeist, damit «öffentlich-rechtlich» weiterhin das Gratis-Abo auf entpolitisierte Peep-Shows behalten konnte. Drittens unterwanderte das Schweizer Fernsehen mit einer absurd allgegenwärtigen Demoskopie-Demokratie (Umfrage-Demokratie) klassische urschweizerische politische Entscheidungsprozesse.

Fortan wurde in Fernsehen und Radio vorwiegend über Umfragewerte, aber sicher nicht über Sprache, Bilder und Grundwerte wie -rechte in einer Demokratie diskutiert. Kein anderes europäisches Land, mit Ausnahme von Italien, hat in den letzten Jahren einen derart grundlegenden Wandel von der parlamentarischen Demokratie mit direkten Elementen hin zu einer medialen Mehrheits- und Meinungsdemokratie vollzogen. Hier trägt die öffentlich-rechtliche und verfehlte schweizerische Medienpolitik mit ihrem sprechendsten Ausdruck im Programm des Schweizer Fernsehens eine grosse und antidemokratische Verantwortung. In der Arena kristallisieren sich diese drei Strukturfehler.

Allein der Auftakt der Sendung, zwei schwingende Männer im Ring mit einer Frau, deren Aufgabe darin besteht, dem Verlierer das Sägemehl vom Rücken zu wischen, spricht eigentlich undemokratische Bände. Dazu kommt das von der «NZZ am Sonntag» richtig festgestellte Ungleichgewicht des Sprechpersonals im «Ring» (Kolosseum statt Polis) zugunsten der SVP, der «Weltwoche» und deren Verbündeter.

Noch schwerer wiegt aber auch die Themenauswahl. Von 42 Sendungen im Jahr 2009 sind über ein Viertel klassische SVP-Themen à la «Mutig oder fremdenfeindlich?»; Minarette zum ersten, zweiten, dritten und vierten; Erfolgsmodell Multikulti mit grossem Fragezeichen; Übervölkerung: Wird die Schweiz zu klein?; Arbeit: Schweizer zuerst?; Härtere Strafen?; Isolierte Schweiz - Indianer ohne Freunde?; Asyl-Notstand?; Personenfreizügigkeit kündigen?; und andere. Hinzu kommen sieben Bundesrats-Regierungskrisensendungen - auch dies eine klassische SVP-Programmstrategie, die im Diskurs über «oben und unten» das Parlament zum Kindergarten und die Regierung zur Handlungsunfähigkeit degradiert.

Einzig die acht Abstimmungssendungen, welche die «Arena» «von Amtes wegen» und sehr zum Missfallen der Redaktion, durchführen muss, bieten ganz normale Themen als Aufhänger für die wichtigste Politsendung des Landes. Hinzu kommt die Auswahl der Experten, die völlig losgelöst von wissenschaftlichen Publikationen, akademischen Titeln, gesellschaftlichen Positionen den Banalitätstrend «Meinungen gleich Fakten» meist in der eigenen Person inkarnieren. In die «Arena» kommt man als «Experte» nicht etwa weil man ein entscheidendes Werk zu Demokratie, EU, Medienwandel, Repräsentation und Identität etc. publiziert hat oder gar an einer der renommierten europäischen oder schweizerischen Universitäten lehrt, sondern entweder wenn man a) Professor der Universität Zürich ist (es darf auch ein emeritierter sein), b) ein Professor der Universität St. Gallen ist (es darf auch ein emeritierter sein) oder c) in der «Weltwoche» eine feste Meinungskolumne publizieren kann - dann geht es auch ohne Universität Zürich.

Man beachte auch das Geschlecht, denn unter all den Gästen, die als Experten in die vorderste Reihe geladen wurden, befindet sich keine einzige Professorin. Überhaupt die Frauen in der «Arena»! Neun Sendungen sind personell wie die Wartezimmer bei Urologen eingerichtet - nämlich als völlig frauenfreie Zonen. In keiner einzigen Sendung dürfen Frauen unter sich beispielsweise so wichtige Themen wie «Jahresrückblick», «Personenfreizügigkeit künden» oder «Wird die Schweiz zu klein?» diskutieren. Die Männer aber schon. Zudem: Falls Frauen in der «Arena» präsent sind, dann meist ex-officio, weil sie - «Arena» höre und staune - ein Fraktionspräsidium, einen Bundesratssitz, ein Kommissionspräsidium, ein wichtiges Bundesamt oder ein sonstiges wichtiges politisches Amt innehaben.

Als Expertinnen sind sie in der ersten Reihe vorne praktisch inexistent und höchstens bei Gesundheitsthemen gefragt. Die 2009 mit je einem Auftritt (falls Frauen, dann bitte ja nur einmal!) von Frau Canepa, Frau Fitzi, Frau Ziltener, Frau Enz, Frau Keller-Messahli, Frau Schwager, Frau Schwarzer und Frau Stämpfli - bestätigen hier nur die «Arena»-möglichstfrauenfrei-Regel. Dass die «`Arena` in Frauenhand» liegt, meint auch nur die mit mehr Frauen als Männern bestückte «Arena»-Redaktion (!) selbst, weil zum ersten Mal 2009 ab und an auch eine Frau die Sendung moderieren darf. «Frau fragt und Mann antwortet» kennen wir ja zur Genüge auch aus dem deutschen Fernsehen.

Angesichts dieser undemokratischen Gleichgewichte des Populismus ist die Bilanz zur «Arena» nicht einfach der «Parteienstammtisch der SVP» (Zitat «NZZ am Sonntag») - das auch, doch in erster Linie Ausdruck des herrschenden schweizerischen Medienzynismus, gekoppelt mit einem Beliebigkeitstraining, das informatorische Partikel zu einem Propagandapaket für entpolitisierte Staatskunde schnürt. Insofern ist die «Arena» nicht einfach Ursache, sondern Wirkungsverstärker der ganz normalen skurrilen Polit- und Medienwirklichkeit der Schweiz. Wenn SVP-Ständerat This Jenny in der letzten Sendung - von niemandem unterbrochen - sagen darf, dass die «baumlangen Schwarzen» auf dem Bau «ja eigentlich keinen Sonnenbrand kriegen» und trotzdem «zu faul seien, um auf dem Bau zu arbeiten» - dann ist tatsächlich sehr viel faul. Und nicht einfach die ziemlich banale, aber quotenstarke Politsendung «Arena» oder deren Moderator, sondern faul ist etwas im Staate und dessen Medienpolitik.

Wohl deshalb ist mittlerweile die SVP-Slogandrescherei zur Meinungsfreiheit mutiert, während jeder verbale Einsatz für Demokratie, für Chancengleichheit, für Rechtsstaat, für mehr Würde als «politische Korrektheit» mit grossem Medienklamauk entsorgt wird.