Content:

Mittwoch
15.04.2015

Marketing / PR

Publicis-Boogg-Klein-Report

Es ist seit vielen Jahren eine liebe Tradition von Werbern, Medienleuten und Werbekunden, am Zürcher Sechseläuten einen Abstecher an eine besondere Adresse zu machen: zu Publicis an die Stadelhoferstrasse 25. Die grösste Werbeagentur des Landes mit dem legendären Freddy Collioud, mittlerweile Ehrenpräsident der Firma, lädt jedes Jahr zu Speis, Trank und Gesprächen.

An die 300 Leute schauten rein, assen und tranken etwas, blieben kurz oder länger, schauten per TV dem brennenden Böögg zu und unterhielten sich. Zwischendurch schauten auch waschechte «Zoifter» in ihren bunten Gewändern rein für eine kurze Wurst oder einen Smalltalk. Oder um sich einfach mal zu zeigen.

Man hörte es in Bruchstücken oder sah es den Gesten der Diskutierenden an: Die besprochenen Themen scheinen die Leute zu packen und zu beschäftigen. Im Gegensatz zu früheren Publicis-«Picknicks» traf man dieses Jahr hauptsächlich junge Menschen an.

Waren es früher teils bekannte ältere Herrschaften wie etwa der einstige Migros-Chef Jules Kyburz, begrüsste Freddy Collioud diesmal bekannte Gesichter wie Sacha Wigdorovits oder Barbara Egli, die Witwe des einstigen Publicis-Werbers Claude Marti und heutige Kunstberaterin (art-works).

Dass sich hingegen der traditionelle Publicis-Anlass sonst nicht verändert hat, dazu meint CEO Curdin Janett: «Das ist gut so.» Beim Tippen, wann der Kopf des Böögg zerplatzt, habe er nicht mitgemacht, wie er dem Klein Report vor Ort sagte. «Der jährliche Wettbewerb ist schliesslich für unsere Gäste, da sollte ich nicht gewinnen.»

Schmunzelnd fügt er hinzu: «Hätte ich jedoch getippt, wäre ich klar danebengelegen. Bei diesem schönen Wetter hätte ich den Knall in der Hälfte der Zeit erwartet. Aber auch dieses Jahr lag jemand bis auf ganz wenige Sekunden richtig.» Der guten Ordnung halber hier nochmals die genaue Zeit: 20,39 Minuten. Brrr, ein kalter Sommer ist angesagt.

Unter den Gästen waren auch Mitarbeiter von Orange auszumachen, einer der Hauptkunden von Publicis. Kann Curdin Janett etwas zur neuen Kampagne sagen? Er lacht. «Selbst beim Sechseläuten kann ich nicht so viel trinken, dass ich dazu etwas ausplaudern würde. Aber es ist so, wie es zurzeit auf den Plakaten steht: Da kommt was Neues. Schon ganz bald.» Aha!

Seit vier Jahren arbeitet Publicis für Orange. Aber erst seit Herbst 2013 am Projekt Neupositionierung/Rebranding. Curdin Janett: «Es war eine intensive und auch eine äusserst interessante Zeit. Thomas Wildberger und ich waren von Beginn weg dabei, was dieses Projekt für uns so speziell macht.»

Ihm selber habe es viel Spass gemacht, einmal wirklich Geburtshelfer zu sein, von A bis Z die Entstehung einer neuen Marke zu begleiten. «Jetzt können wir es kaum erwarten, die Sachen endlich im Einsatz zu sehen. In der ganzen Zeit galt nämlich für alle Beteiligten höchste Geheimhaltung.» Dabei sei Orange extrem weit gegangen.

Man habe nichts einfach nur auf Powerpoint entschieden, sondern alles vor dem definitiven Entscheid fertig erarbeitet. Ein Beispiel: Bei der Gestaltung der neuen Shops sei irgendwo in einem Keller in Zürich ein Modellshop eins zu eins aufgebaut worden. Ironischerweise sei das in einem Gebäude passiert, in dem die Redaktion einer grossen Schweizer Zeitung sitze.

In den letzten Wochen wurde in den Medien über den neuen Namen von Orange spekuliert. Curdin Janett findet das verständlich. «Wenn man heute nachliest, was damals zum Namen Novartis so alles geschrieben wurde, und wie schnell es schon bald kein Thema mehr war.» Und er holt aus. «Wenn man eine Marke als Person sieht, ist die Analogie am klarsten. Die Eltern machen sich zwar intensiv Gedanken um den passenden Namen für das Neugeborene. Wie sich die Person dann aber entwickelt, hängt davon ab, welche Werte sie mit auf den Weg bekommt, welche Erziehung sie geniesst und wie sie dies alles in ihrem Leben umsetzt. Dies wird man später mit dem Namen verbinden.» Ganz wie im wahren Leben also.

Die Frage des Klein Reports zur aktuellen Situation der Werbebranche im heutigen wirtschaftlichen Umfeld beantwortet Curdin Janett offen. «Der Wechselkurs bestimmt die Diskussion. Natürlich wird sich derzeit in Tourismus- und Exportindustrie kaum jemand Gedanken über antizyklische Budgeterhöhungen machen, wenn man sich mit Kurzarbeit und Schlimmerem auseinandersetzen muss. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir immer noch deutlich mehr importieren als exportieren. Es gibt also auch Gewinner.»

Die Schweizer Wirtschaft zeige sich selbst jetzt erfreulich robust. Selbst im Tourismus seien gute Zahlen präsentiert worden. Ebenso könnten Industriebetriebe grosse Neumandate vermelden. «Aber die Verunsicherung und eine gewisse Zukunftsangst sind noch da.»

Mehr Sorgen mache er sich mittelfristig über eine andere Entwicklung, so Curdin Janett. «Die heutigen Schweizer Lohnempfänger dürften die erste Generation sein, die mehr verdienen als ihre Kinder in etwa zehn Jahren. Ich gehe davon aus, dass die Löhne bei uns bestenfalls stagnieren werden, in einigen Bereichen könnten sie sogar rückläufig sein. Da können wir jetzt nur hoffen, dass sich die Lebenshaltungskosten schneller verringern, als es das Einkommen wird.»

«Selbst wenn jetzt die Preise für viele Produkte purzeln - im Warenkorb machen Wohnen und Energie 25 Prozent aus.» Der Ölpreis sei heute sehr tief und die Zinsen auf einem historischen Tiefstand. Beides könne sich praktisch nur noch gegen oben entwickeln. Die Frage sei nur, wann und wie schnell.

«Da dürften wir noch ein wenig Zeit haben», beruhigt der Publicis-CEO. «Aber geschehen wird es. Und das bereitet mir Sorgen. Wenn nämlich die Kosten für Wohnung und Energie steigen, während sich die Saläre gegenteilig entwickeln, dann kriegen wir ein Problem. Ich befürchte, wir werden auch rund um Zürich vermehrt Schilder mit `zu verkaufen` sehen. Ergo: Die Werbewirtschaft ist von beiden Entwicklungen nicht mehr oder weniger betroffen als die Gesamtwirtschaft.»

Und wie hat die Werbebranche den Wechselkurs nach der Euro-Abwertung gespürt? «Wir haben kaum etwas gespürt», gesteht Curdin Janett. «Nicht wenige Branchen haben sogar mehr ausgegeben, um auf ihre Euro-Rabatte aufmerksam zu machen.» Was beispielsweise in der Automobilbranche auch gut funktioniert habe.

«Aber auch bei uns bleibt eine Verunsicherung. Ansonsten sind wir Werber ganz einfach ein Teil der Gesamtwirtschaft. Wir dienen teilweise sogar als Frühindikator.» In unsicheren Zeiten werde das Marketingbudget gerne etwas reduziert, um einen Puffer im Unternehmensbudget zu schaffen. Im Gegenzug werde bei einer sich abzeichnenden Erholung früh investiert, um am Aufschwung teilzuhaben und Marktanteile zu gewinnen.

«Natürlich liesse sich mitten in einer Krise durch antizyklisches Verhalten billiger Marktanteile gewinnen, weil Mitbewerber still sind. Aber wenn es - wie gesagt - für die Löhne nicht mehr reicht, dann ist dies ein schwieriger Entscheid.»

«Wir können da lange philosophieren», meinte Curdin Janett zum Schluss des Gesprächs. «Es werden diejenigen Unternehmen gewinnen, denen es mitten im Wandel gelingt, sich richtig für die Zukunft zu positionieren. Gewinnen werden dann auch diejenigen Agenturen, die ihren Kunden in einer solchen Phase als wertvoller Partner zur Seite stehen.»