Trotz einer Corona-Infektion machte eine junge Frau Party. Der «Blick» stellte sie an den Pranger und machte sie identifizierbar. Das geht gar nicht, befand nun der Presserat.
«Camilla T. (21) ist die Corona-Ignorantin von Grenchen SO. Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft», titelte die Boulevardzeitung am 9. Juli 2020. Darin wird über eine junge Frau berichtet, die trotz einer amtlich verfügten Isolation feiern ging. In der Folge mussten 280 Personen in Quarantäne.
Obwohl Camilla T. nicht öffentlich aufgetreten ist und keine öffentliche Funktion bekleidet, suggerierte der «Blick» ein öffentliches Interesse an ihrer Person: «Bis heute weiss kaum jemand in Grenchen SO, welche Person am 27. Juni trotz Corona-Erkrankung und einer verfügten Isolation an einer Party im Parktheater und später in einem Club war», schreibt Ralph Donghi im «Blick»-Artikel.
Selbst die Polizei sei nicht über die Identität informiert worden, denn der Kantonsärztliche Dienst sei an den Datenschutz gebunden, liest man weiter. Damit würden viele Grenchner hadern. Recherchen des «Blick» brächten nun aber «Licht ins Dunkel».
Der Ringier-Verlag mit Anwalt Matthias Schwaibold argumentierte gegenüber dem Presserat unter anderem, dass die junge Frau aufgrund des anonymisierten Fotos nicht erkennbar sei. Auch die Altersangabe reiche nicht für eine Identifizierung aus. Dass sie im Betreuungsbereich arbeite, sei derart unspezifisch, dass keinerlei Rückschlüsse auf ihren Beruf oder ihren Arbeitsort möglich seien.
Mit diesen Argumenten kann der Presserat nicht viel anfangen. Von öffentlichem Interesse sei in Pandemie-Zeiten zwar sehr wohl, darüber zu berichten, an welchen Orten eine infizierte Person sich aufgehalten hat.
«Eine identifizierende Berichterstattung jedoch enthält für die Öffentlichkeit keinen Mehrwert. Den Schutz der Privatsphäre und die Identität von Einzelnen gilt es somit unbedingt zu wahren.»
Dass «Blick» den Namen der jungen Frau anonymisiert habe, werde bei Weitem überboten von der Enthüllung mehrerer persönlicher Angaben, so das Aufsichtsgremium.
Tatsächlich wird der «Blick»-Leser darüber informiert, dass die 21-jährige Camilla T. im Betreuungsbereich arbeite und mit ihrer 48-jährigen Mutter nahe des Grenchner Stadtzentrums in einer Parterrewohnung lebe. Der Vater lebe ebenfalls in Grenchen und sei 52 Jahre alt.
Ein Porträtfoto zeigt die junge Frau, jedoch verdeckt ein schwarzer Balken ihre Augen- und Nasenpartie. Ein Foto des Wohnhauses zeigt zwar nur einen Ausschnitt, jedoch mit vielen markanten Details.
«Aufgrund dieser Informationen und Angaben ist die Identität der jungen Frau in einer Kleinstadt wie Grenchen für manche Dritte, die ausschliesslich über die Medien informiert wurden, erschliessbar», schreibt der Presserat in seiner Stellungnahme.
Der springende Punkt: Die Story hätte auch funktioniert, wenn die Identität der Frau nicht blossgelegt worden wäre. Oder in den Worten des Presserats: «Schon die Häufung dieser Angaben trug wenig bis nichts zum Verständnis der Leserschaft für die Situation bei. Und ein solcher Beitrag zum Verständnis der Lesenden ist nach konstanter Praxis des Presserats Voraussetzung, um allenfalls nähere Angaben zu rechtfertigen.»
Daher hat der «Blick» gegen den Journalistenkodex verstossen.
Eine der beiden Beschwerdeführerinnen warf dem «Blick» ausserdem vor, er mache es nicht besser als die «Mainstream-Medien». «Wir befinden uns aktuell in einem Gesundheitsfaschismus, der alle Grenzen der fairen Berichterstattung verletzt.» Auf diesen Anwurf ging der Presserat nicht ein.