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Freitag
11.12.2009

Der Institutsleiter von gfs.bern und SF-Abstimmungskommentator Claude Longchamp äussert sich in seinem Blog (www.kommunikationsblog.ch) zur Kritik auf die von ihm veröffentlichte Umfrage zur Minarett-Initiative mit ablehnendem Ausgang. Es stelle sich die Frage nach dem Warum, meint Longchamp und sucht in einer längeren Replik nach Gründen. Er habe zwar Verständnis gegenüber der Kritik; jedoch sollte die Analyse nach fachlichen Kriterien erfolgen.

Punkt 1 seiner Replik: «Zwischen Umfrage und Abstimmung liegen 18 Tage. Hätten wir diese Zahlen aufgrund einer Umfrage publiziert, die am Abstimmungssonntag selber oder unmittelbar davor gemacht worden wäre, wäre auch unser Urteil vernichtend. Nun ist das in diesem wie in allen anderen Fällen bei wahl- und abstimmungsbezogenen Umfragen in der Schweiz nicht der Fall, denn sie müssen spätesten 10 Tage vorher publiziert werden. Der mittlere Befragungstag liegt damit am Abstimmungstag zwischen 15 und 20 Tagen zurück.

Wenn in dieser Zeitspanne kampagnenmässig nichts mehr geschieht, könnte ein Fortschreiten der Meinungsbildung allenfalls ausgeschlossen werden. Doch das ist sichtbar nicht der Fall, weshalb auch die Annahme falsch ist. Die öffentliche Debatte übersah diesen Aspekt ganz und konzentrierte sich auf Methodenfragen, weshalb wir hier zuerst darauf eingehen.

Punkt 2: Methodisch gibt es keine stichhaltigen Einwände. Die Stichprobe war nach den vorliegenden Prüfungen in Ordnung. Die Erreichbarkeit der Grundgesamtheit, den Stimmberechtigten in der Schweiz, via Telefon entsprach dem Üblichen. Bei interessanten Abstimmungen ist das nie das Problem. Minimale Probleme ergeben sich aus der Mitte Jahr gefallenen Eintragspflicht ins Swisscom-Nummernregister. Wir kompensieren das in der Nummernauswahl durch zufällig beigemischte Zufallsnummern. Die verbleibenden Effekte mit nicht registrierten Handys sind kleiner als der Stichprobenfehler.

Dass allfällige Probleme mit der Stichprobe nicht die Erklärung für die Differenz bei der Minarett-Initiative sein können, sieht man auch an folgendem: Drei der vier Aussagen derselben Umfrage zum Abstimmungsausgang (Zwischenstand zu zwei Vorlagen, zu Stimmbeteiligung) von niemandem bezweifelt werden. Wenn schon hätte alles falsch sein müssen.

Bei der Minarett-Initiative müssen andere Erklärungen beigezogen werden. Schnell einigte man sich darauf, dass «man bei solchen Themen nicht die Wahrheit sage». Als methodischer Ausweg, Gefälligkeitsantworten zu vermeiden, wird in der Umfragepraxis gelegentlich empfohlen, nebst der direkten Sonntagsfrage auch die indirekte Sonntagsfrage (Was glauben sie, wie die Abstimmung ausgehen wird?) zu verwenden. Früher haben auch wir damit gearbeitet, das Verfahren aber aufgegeben, weil es untauglich ist. Das zeigt sich auch bei der Isopublic-Umfrage für den `Tages-Anzeiger` zur Minarett-Initiative, wo man dieses Mittel einsetzte, in der Sonntagsfrage aber die fast identischen Zahlen wie in unserer Umfrage auswies.

Punkt 3: Zahlen und Interpretationen sind zu beachten. Wir stellen deshalb gleich auf die direkte Sonntagsfrage ab, machen die Interpretation der Zahlen aber in aller Offenheit. Als sicher klassieren wir nur die «bestimmt Entscheidenden» auf beiden Seiten. Bei allen anderen lassen wir in der Interpretation ganz bewusst Veränderungen zu und kontrollieren genau, ob sie im Umfragenvergleich sichtbar werden...

Deshalb formulierten wir unsere Prognose nicht einfach mit Zahlen, sondern mit Worten wie folgt: `Der Ausgang der Minarett-Verbotsinitiative ist unsicher, weil die Befürwortung steigt, bis jetzt aber minderheitlich bleibt. Das Konfliktmuster entspricht dem einer religiös-konservativen Profilierung in der Polarität zwischen Moderne und Tradition, wobei es Ausstrahlung im rechten und parteiungebundenen Spektrum gibt. Argumentativ dominiert keine Botschaft, es sind nur die Pole klar besetzt.` Die Mitteilung der SRG an Parteien, Medien und Behörden nahm dies gebührend auf, doch wurden die Zwischentöne in jeder Weiterzitierung abgeschwächt, bis sie ganz untergingen. Hängen blieb, es sei nein!

Punkt 4: Meinungsbildung ist bis am Schluss etwas Dynamisches. In der Meinungsbildung geschah indessen genau das Gegenteil. Die überzeugten Gegner der Initiative wurden während der Kampagne etwas zahlreicher. Von einer eigentlichen Demobilisierung der Gegnerschaft aufgrund von Prognosen kann nicht die Rede sein. Deutlich stärker wurden aber während der Schlusskampagne die überzeugten Befürworter der Initiative. Sie verstärkten sich mit aller Wahrscheinlichkeit aus drei Richtungen: Erstens aus dem Lager der Unschlüssigen, zweitens bei jenen, die sich erst am Schluss zur Teilnahme entschieden, und drittens, beschränkt bei Personen, die anfänglich eher Nein stimmen wollten.

Die Erstanalyse zur Minarett-Abstimmung im Kanton Zürich legt mit anderen Methoden den Finger auf die gleichen Punkte, indem auch sie auf die in Zürich unüblich hohe, und durch die Befürwortung der Minarett-Initiative geprägte Mobilisierung legt.

Die so viel gescholtene zweite Umfrage für SRG gibt sogar Hinweise für die Gründe, die wir schon im Voraus veröffentlicht hatten, damals aber niemanden interessierten: Bei Ungebundenen, FDP und CVP waren Mehrheiten bereit, ein Zeichen gegen die Islamisierung der Schweiz zu setzen, bei den Ungebundenen und der FDP nahm man hierfür auch ein Minarett-Verbot in Kauf, weil es ein potenziell politisches Symbol ist. Um es klar zu sagen, zwangsläufig war das in der Entscheidungsambivalenz nicht, denn das wichtigste Gegenargument, das wir mehrfach kommuniziert haben, war die Befürchtung, sich damit Nachteile in den Aussenbeziehungen einzuhandeln...

Unser Schluss ist der: Die sogenannte Fehlprognose kann kaum auf ein Problem mit der Umfrage selber zurückgeführt werden, ist aber eine Folge der Fehlwahrnehmung, die daraus entsteht. 10 Tage vor der Abstimmung wollen alle ein Ja oder Nein. Das geht in etwa zwei Drittel der Fälle, in einem Drittel nicht... Die Sonntagsfrage ist nicht an sich unbrauchbar, kann aber nicht ohne zusätzliche Interpretationen verwendet werden. Meinen Teil hierzu will ich verstärken, weil ich überzeugt bin, bereits auf dem richtigen Weg zu sein.

Bei der Kriegsmaterial-Initiative ging unsere Kommunikation auf, weil Zahlen, Trends und unsere Analysen gemeinsam ins Nein wiesen. Deshalb haben wir das auch gesagt. Bei der Minarett-Initiative haben wir das so nicht gesagt, und es traf auch nicht ein. Nur will man uns das nicht glauben.» Soweit der Blogger Claude Longchamp.

Kritisch setzte sich Bundesrat Moritz Leuenberger mit den Umfragen des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag der SRG auseinander. Das Fernsehen sollte sich in eigener Verantwortung beschränken und nicht ein derartiges Monopol auf Umfragen zulassen. Zur Rolle von Claude Longchamp sagte Leuenberger, faktisch sei es ein Doppelmonopol. Denn Longchamp habe auch das Privileg, am Abstimmungssonntag zu erklären, warum die Umfragen seines Instituts nun doch nicht zuträfen.