Der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht (45) erhält für seinen Roman «Imperium» den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2012 der Stadt Braunschweig. Der mit 30 000 Euro dotierte Preis wird von der Stadt Braunschweig und dem Deutschlandfunk vergeben.
Die Begründung der Jury zum Roman, der 2012 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist: «Die deutschen Kolonien zu Kaiser Wilhelms Zeiten waren schon häufiger Gegenstand der erzählenden Literatur. Doch noch nie so farbig schillernd, so böse komisch, fantastisch realistisch, pathologisch weltbeglückend, so schräg verzerrt wie in Christian Krachts Roman `Imperium`. Ein groteskes Sittenbild des frühen 20. Jahrhunderts, in dem Lebensbewegte, Lebensreformer, bärtige Bohemiens und aufbegehrende Aussteiger ihren privaten Wahnsinn zu Welterlösungsideen ausweiteten, übers Meer fuhren, um Land zu gewinnen, und Wahnsinn fanden, den lachenden Tod.»
August Engelhardt, Held des Buches von Christian Kracht, war so einer, «ein historisch verbürgter idealistischer Ritter mit der Kokosnuss, der eben diese behaarte Kugel anbetete, um eine Religion damit zu begründen, einen Kokovoren-Kult. Man kann diesen Kern des Romans in Geschichtsbüchern nachlesen, um in einen erkenntnisfördernden Wettbewerb zwischen irrer Realität und literarischer Irrealität einzutreten», so die Jury.
«Imperium» komme heiter parlierend daher, im Ton des späten, leicht überdrehten realistischen Stils des späten 19. Jahrhunderts, das bekanntlich auch die Ära Wilhelm Raabes war. «Der Roman gehört zu jenen leichten schönen Dingen, die bekanntlich schwer zu machen sind. Solche Kunst der heiter-hintergründigen Art weiss auch schwere Geschichtsbrocken zu kommunizieren, wie die indirekte Parallelführung des manischen Fruchtverehrers Engelhardt mit dem bellenden Vegetarier Hitler; das machtgestützte imperiale Wüten des 2. Kaiserreichs; die Steigerung der Marotte zur Selbstvernichtung, den Umschlag der Vegetarismus in Kannibalismus, der guten Absichten also in menschliche Grausamkeit. Auf dieser Grenze zwischen Komik und Schrecken balanciert der Roman mit grosser Sicherheit und bildet so einen bedeutenden Knoten im Gewebe der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur», schliesst die Jury ihre Begründung.
In der Jury des Wilhelm-Raabe-Literaturpreises sind: Prof. Dr. Gerd Biegel (Präsident der internationalen Raabe-Gesellschaft), Dr. Roman Bucheli («Neue Zürcher Zeitung»), Dr. Julia Encke (FAS), Dr. Anja Hesse (Dezernentin für Kultur und Wissenschaft), Ursula März (u.a. «Die Zeit»), Dr. Michael Schmitt (3sat), Julia Schröder («Stuttgarter Zeitung»), Prof. Dr. Renate Stauf (Institut für Germanistik) und Dr. Hubert Winkels (Deutschlandfunk).
Der Wilhelm-Raabe-Literaturpreis versteht sich als «Preis für Literatur der Gegenwart». Zum Andenken an den Dichter Wilhelm Raabe (1831 bis 1910).