Der SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner fordert mit einer Motion, dass künftig in den vier Wochen vor Abstimmungen keine Meinungsumfragen mehr publiziert werden dürfen. Von den Chefredaktoren der grossen Tageszeitungen erhält er allerdings keinen Rückhalt.
«Viele Umfragen zu Volksabstimmungen (z.B. Minarettinitiative, Zuwanderungsinitiative, Energie statt Mehrwertsteuer, Familieninitiative usw.) waren weit weg vom Abstimmungsresultat», begründet Giezendanner seinen Vorstoss. «Diese Umfragen sind für das Stimmvolk verwirrend, oder sie wirken gar manipulativ. Der Stimmbürger wird so verunsichert.»
Res Strehle, der Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», findet harsche Worte für den Vorstoss. «Die Motion Giezendanner stellt aus unserer Sicht einen Eingriff in die Medienfreiheit dar», teilte er dem Klein Report mit. «Wir lehnen sie dezidiert ab.»
Strehle weist aber darauf hin, dass die Qualität der Umfragen stimmen müsse: «Wenn sie seriös und transparent gemacht sind, sehen wir darin einen von unserer Leserschaft gewünschten Service», sagte er. «Umfragen zur Abstimmungsberichterstattung unabhängiger Medien dienen ebenso der Orientierung wie die Darstellung sämtlicher Positionen im Abstimmungskampf.»
Auch Eric Gujer, der Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», ist der Meinung, dass der Vorstoss des SVP-Politikers in eine falsche Richtung zielt. «Umfragen dienen auch der Information», so Gujer zum Klein Report. «Die Wähler sind mündig genug, sich nicht beeinflussen zu lassen.»
Er sieht aber auch die Grenzen. «Umfragen liefern bewusst keine ungefilterten Zahlen, sondern gewichtigen die Antworten, um Verzerrungen zu vermeiden», meinte er. «Dies funktioniert oft, manchmal liegt die Demoskopie aber auch daneben.»
Dies sei etwa dann der Fall, wenn für Umfragen nicht auf Daten aus der Vergangenheit zurückgegriffen werden könne, die als Vergleichsmassstab dienen. «Es gehört zum Anspruch der NZZ als Qualitätszeitung, dass sie Umfragen nicht als letzte Wahrheiten verkauft, sondern ihren Lesern die Risiken und Nebenwirkungen der Demoskopie erläutert.»
Christian Dorer, der Chefredaktor der «Aargauer Zeitung», hält Giezendanners Frage nach dem Sinn von Umfragen für berechtigt. «Ich teile seine Ansicht, dass sie oft mehr Wirbel verursachen als Nutzen stiften», meinte er gegenüber dem Klein Report.
Er übt auch Kritik an den Meinungsumfragen. «Vor allem sind die Umfrageergebnisse oft nutzlos», so Dorer. «Deren Macher betonen zwar immer, es seien `Momentaufnahmen` und nicht `Vorhersagen`. In der Wirkung ist es einerlei: Je nach Ergebnis wird in die eine oder andere Richtung mobilisiert und das hat einen Effekt - aber auch das gehört zu einer direkten Demokratie.»
Hinter der Motion steht er aber dennoch nicht. «Mit einem Publikationsverbot ist dem nicht beizukommen - im Gegenteil», so Dorer. «Interessenvertreter würden weiterhin Umfragen in Auftrag geben, nur wären sie nicht mehr öffentlich. Zudem wäre es aus liberaler Sicht absurd, in einer freien Demokratie Umfragen zu verbieten. Jeder soll machen, wie er will. Und jeder kann dann damit anfangen, was er will.»
Wie mit Meinungsumfragen umgegangen wird, ist in allen drei Redaktionen unterschiedlich. «Wenn eine Umfrage repräsentativ ist und nach demoskopischem State of the Art durchgeführt wurde, steht es der Redaktion frei, darüber zu berichten», meinte «Tages-Anzeiger»-Chef Res Strehle. «Fristen oder thematische Vorgaben gibt es nicht. Über die GfS-Abstimmungsumfragen zum Beispiel berichtet der `Tages-Anzeiger konsequent.»
Christian Dorer gibt an, dass die «az Nordwestschweiz» keine Richtlinien für den Umgang mit Umfragen habe. «Die Redaktion entscheidet von Fall zu Fall, ob über eine Umfrage berichtet wird, und falls ja, in welchem Umfang.»
Eric Gujer wiederum umschreibt den Umgang so: «Die NZZ hat seit jeher nur mit grosser Zurückhaltung über Umfragen berichtet, an dieser Linie halten wir fest.»
Nicht in die Debatte einbringen wollte sich Markus Somm, der Chefredaktor der «Basler Zeitung». Seine Antwort auf die Fragen des Klein Reports lautete kurz und bündig - und wenig konstruktiv: «Kein Kommentar.»