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Freitag
19.12.2003

Auf der einen Seite der Ruf nach publizistischer Qualität, auf der andern der Aufruf zum Sparen: Wie gehen Chefredaktoren mit diesem Clinch um? Die Berner Medienwissenschaftsstudentin Simone Fatzer hat für ihre Abschlussarbeit acht Chefredaktoren der auflagenstärksten Deutschschweizer Tageszeitungen zu ihrem Berufsalltag befragt - die Ergebnisse ihrer Studie liegen seit Freitag vor. An der Untersuchung beteiligt haben sich die Chefredaktoren Hugo Bütler («NZZ»), Peter Hartmeier («Tages-Anzeiger»), Werner de Schepper («Blick»), Markus Gisler («Mittelland Zeitung»), Gottlieb F. Höpli («St. Galler Tagblatt»), Andrea Masüger («Südostschweiz»), Andreas Z`Graggen («Berner Zeitung») und Hanspeter Spörri vom «Bund».

«Er ist männlich. Im Schnitt 52 Jahre alt. Hat 25 Jahre journalistische Berufserfahrung und arbeitet rund 11 Stunden pro Tag: So lässt sich im Jahr 2003 der typische Chefredaktor grosser Deutschschweizer Tageszeitungen beschreiben», hält die Medienwissenschaftsstudentin in ihrer Studie fest. Frage man die Chefredaktoren nach ihrem Selbstverständnis, so Fatzer, lasse sich ein deutlicher Rollenwandel vom Publizisten hin zum Manager feststellen: Management- und Führungskompetenz werden heute von den meisten Chefredaktoren mindestens gleich gewichtet wie die publizistische Kompetenz. Mehr als ein Viertel der Arbeitszeit wende denn auch kaum ein Chefredaktor für seine eigene publizistische Tätigkeit auf.

Ein zentraler Fokus der Studie von Fatzer liegt in der Frage, was Chefredaktoren in einer von ökonomischem Spardruck geprägten Zeit tun, um gleichwohl die Qualität ihrer Publikationen nicht zu vernachlässigen. Fatzer kommt zum Schluss, dass Chefredaktoren die eigene Rolle als Qualitätsmanager ihrer Publikationen zwar nicht in Frage stellen, aber einen grossen Teil der Verantwortung in diesem Bereich an die Redaktionsleiterinnen und -leiter wie auch an die Blattmacher delegieren. Als wichtigste Qualitätssteuerungsmassnahme diene den Chefredaktoren die Personalpolitik: Durch die Einstellung geeigneter Journalistinnen und Journalisten versuchen Chefredaktoren langfristig die publizistische Qualität zu sichern. Als absolut dominierendes Kontrollmittel im Redaktionsalltag wird die Blattkritik genannt. Doch wird deren Wirksamkeit wegen der «Oberflächlichkeit und der fehlenden Selbstkritik der Journalistinnen und Journalisten» zugleich auch stark relativiert.

Fairness, Faktentreue, Einordnungsleistung und Originalität sind laut Studie die Qualitätsmerkmale, auf welche die Chefredaktoren in erster Linie Wert legen. Mit der publizistischen Qualität ihrer eigenen Zeitung seien die Chefredaktoren durchaus zufrieden; gerade im Vergleich mit anderen Schweizer Tageszeitungen geben sie ihrem Produkt gute Noten. Tägliche Fehler und Fehlleistungen würden zwar bemängelt, letztlich aber als systemimmanent und deshalb als unvermeidlich akzeptiert. (Auch Chefredaktoren sind offenbar keine Meister im Ausüben von Selbstkritik, Anm. der Red.)

Laut Studie glauben die Chefredaktoren zudem nicht, dass umgesetzte Sparmassnahmen wie der Abbau von Personal die publizistische Qualität zwingend beeinträchtigen - erstaunlich. Einzelne gehen sogar davon aus, dass sich bei zunehmender Arbeitsbelastung der Medienschaffenden die Qualität verbessere. Sofern die Leserschaft die grossen Sparanstrengungen der letzten Jahre überhaupt bemerkt habe, so sei dies lediglich in quantitativer Hinsicht geschehen, geben sich die Herren der Chefetagen überzeugt. Selbst ein sparbedingter Abbau redaktioneller Angebote wird nicht etwa negativ, sondern teilweise gar positiv bewertet. «Obwohl sie in wirtschaftlich schwierigen Zeiten agieren, sind die Chefredaktoren mit der publizistischen Qualität ihres Produkts also insgesamt durchaus zufrieden», schreibt Fatzer. Ihr Fazit: Neue Massnahmen zur Sicherung oder gar Verbesserung der publizistischen Qualität sind unter diesen Umständen aus den Chefetagen der grossen Deutschschweizer Tageszeitungen kaum zu erwarten.