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Dienstag
30.03.2010

Mittagszeit. Bei www.chatroulette.com sind über 50 000 Menschen online. Sie warten auf einen Chat-Partner. Präziser - auf einen Cam-Chat-Partner. Drückt man auf «Play», ist der User sofort mit einer anderen Webcam verbunden. Weltweit! Erfunden hat das der 17-jährige Gymnasiast Andrey Ternowski aus Moskau. Im November 2009 ist er mit Chatroulette online gegangen und hat den Internet-Hype der Stunde geschaffen.

Willkommen im Chatroulette. Das Videoportal verknüpft im Sekundentakt wildfremde Menschen vor ihren Webcams. Manchmal ist die Begegnung lustig, manchmal langweilig, manchmal spannend, manchmal sexy, manchmal unter der Gürtellinie.

Auf Chatroulette werden zufällig ausgewählte Leute so lange per Webcam verbunden, bis einer aufgibt. Wer mitspielen will, muss sich nicht anmelden. Die Spielregeln sind freiwillig: Man sollte über 16 Jahre alt sein. Die Kleider anbehalten, und wenn etwas nicht passt, «Report» klicken, um Meldung zu machen. Die Nutzungsbedingungen verbieten zwar obszönes, verletzendes und pornografisches Material - Kontrollen existieren nicht.

Auf der Chatroulette-Seite sieht der User unten sein eigenes Kamerabild, darüber ein zufällig zugewiesener Partner. Leises Gemurmel, schlechtes Bild - das Bild verschwindet. Ein Tisch, eine gelangweilte Frau - das Bild verschwindet. Ein Sofa, eine Gruppe lachender Teenager - das Bild bleibt. Aber bevor man hallo ins Chatfenster tippen kann, verschwindet die Gruppe. Die Teenager fanden ihr Gegenüber uninteressant. Nach eineinhalb Sekunden haben sie weggeklickt.

«Wer bei Chatroulette mitspielt, erlebt im Sekundentakt ein Panoptikum der Menschlichkeit: Sex, Schock, Langeweile. In Chatroulette ist die einzige Währung Aufmerksamkeit», schrieb Spiegel Online. Wie wahr! Denn wer den zugewiesenen Spielpartner nicht in kürzester Zeit davon überzeugt, er oder sie werde gleich etwas Spannendes erleben, wird weggeklickt. Nachschub ist genug da.

Keine Illusionen bitte! Auf Chatroulette spielen sich Ekel- und Schockszenen ab. Es gibt Exhibitionisten und Idioten. Nicht alle Webcam-Partner sind lieb und nett. Oft geht es um wegklicken und weggeklickt werden. Das ist die eine Seite.

Auf Chatroulette gibt es aber auch genauso viele spannende, coole und grossartige Menschen. Und es geht auch um Kunst. «Merton» ist zurzeit die Sensation auf Chatroulette. Er bringt ad hoc zu jedem seiner unbekannten Video-Chatpartner ein Piano-Ständchen. Immer basierend auf deren Aussehen oder Bewegung. Der Mann im grünen Kapuzenpulli nutzt Chatroulette als Sprungbrett.