Am 7. Januar 2015 starben zwölf Journalisten und Mitarbeiter von «Charlie Hebdo» durch einen Anschlag von Franzosen und Belgiern mit islamistischem Hintergrund. Am selben Tag erschien «Die Unterwerfung» von Michel Hoellebecq. Fiktion wurde Fakt. Ein Plädoyer für die journalistische Verbindung von Wirklichkeit und Roman.
Ein Jahr danach. Für den Klein Report kommentiert zu Medien, Terrorismus und Regierungstweets die Medienexpertin Dr. Regula Stämpfli, welche die Bundesrätin Doris Leuthard vor einem Jahr mit der Kritik an deren Tweet: «BR Leuthard: Satire ist kein Freipass» arg in Schwierigkeiten gebracht hat.
Viel ist über «Charlie Hebdo», die Medien und Terrorismus im letzten Jahr geschrieben worden. Verändert hat sich indessen wenig: weder in der Politik - kein Neubeginn in den französischen und belgischen «Problembezirken» -, noch im Duktus, in der Bildersprache der Medien.
Die Berichterstattung bewegt sich meist innerhalb vorgeformter Klischees, der tatsächlichen Politik der Akteure leider verpflichtet: Linke werfen sich fürs Kopftuch, für die Scharia unter eine «Selber-Schuld»-Pose bis grad knapp unters saudiarabische Hackebeil. Rechte konvertieren nur in Fragen des Islams zu Feministen, Gleichstellungsbeauftragten und Werteverteidigern - sonst frönen sie fröhlich Sexismus, Rassismus und Blödianismus.
Die Medien spielen hier insofern die wichtigsten Akteure, als dass sie ausschliesslich den falschen Menschen das Mikrofon oder die Kamera hinstrecken. So lädt beispielsweise Roger Schawinski Nicolas Blancho (Präsident Islamischer Zentralrat) in seine exklusive Talkshow ein (ich nannte dies «Schawinquisition light»), ein Konvertit, der höchstens zwei Prozent der in der Schweiz lebenden Muslime vertritt. Dafür glänzt Telezüri meist mit «Islamexperten», am liebsten aus der SVP, die schon beim Bibellesen offensichtliche Schwierigkeiten hätten...
Selten wird klar, dass der «Islam» schon längst nicht mehr mit Religion, sondern mit Macht, Herrschaft, kurz Politik zusammenhängt. «It`s politics, stupid!» möchte man eigentlich immer rufen, wenn wieder ein Fusselbart zu Wort kommt.
Tagtäglich grüsst in diesen Fragen also das Murmeltier mieser journalistischer Qualität. Wie macht man es besser? Indem man die Religiösen aller Couleur weglässt und die richtigen Fragen stellt. Schliesslich konsultiert man bei Wahlen auch nicht die Bibel, sondern das ABC der Politik.
Wie die Nachbarn zu Mördern werden, muss beispielsweise im Zentrum der Fragen stehen. Gefragt sind also Soziologinnen vom Schlage einer Eva Illouz oder der geniale Historiker der Moderne, Philipp Blom. Doch auch Autorinnen und Autoren sind gefragt. Beispielsweise Ahmed Mansour: «Generation Allah». Oder auch Elit Shafak, Autorin von «Bastard von Istanbul», eine der meistgelesenen Schriftstellerinnen der Türkei, die viel über die Angst und das Versagen von Männern erkennt und dies als Kern des «islamistischen» Problems erklärt.
Kurz: Das journalistische Handwerk der Gegenwart hat Kunst, Soziologie und Geschichte nötiger denn je. Denn ohne Blick fürs Wesentliche zerfällt die Berichterstattung zum Wörtergrab inklusive Bildödnis - von sinkenden Quoten noch gar nicht gesprochen.