Mehrfach versuchte der ehemalige Wirtschaftsprofessor X. der Uni Zürich, der eine Frau sexuell belästigt hatte, den «Blick» wegen übler Nachrede vor Gericht zu ziehen. In dem am Dienstag publizierten Urteil zieht das Bundesgericht einen Schlussstrich unter den mehrjährigen Prozess: Das Boulevardblatt hatte trotz «reisserischer Aufmachung» nicht herabsetzend über X. berichtet.
Im November 2011 berichtete der «Blick» unter dem Titel «Der deutsche Professor & die `schweinische Lesbe' - Eine Stalking-Geschichte auf niedrigstem Niveau» über die Anklage und die Gerichtsverhandlung. Illustriert war der Artikel mit Fotos, auf denen der Professor sein Gesicht mit einem Schal verhüllt.
Die Boulevardzeitung hängte die Geschichte in gewohnter Art prominent auf. Auf der Titelseite wurde mit grossen fetten Lettern «Sex-Stalking - Es begann im Fitness-Raum der Uni Zürich - Deutscher Professor macht Kindergärtnerin das Leben zur Hölle - Es geht um falsche Brüste und perverse SMS - Der unglaubliche Fall» auf die Story hingewiesen.
Der verwickelte Fall geht weit zurück. Im Dezember 2011 verurteilte das Bezirksgericht Zürich X. wegen versuchter Nötigung. Der Verurteilte zog den Fall weiter ans Obergericht, das den Schuldspruch aus erster Instanz aber teilweise bestätigte und den Mann zusätzlich der sexuellen Belästigung schuldig sprach. Mehrere Beschwerden vor dem Bundesgericht scheiterten.
Beim Fitness des Akademischen Sportverbands Zürich hatte der Mann im November 2009 die Nähe zu der Frau gesucht. Nachdem sie ihn zurückgewiesen hatte, beschimpfte er sie nach Angaben der Geschädigten als «schweinische Lesbe», berührte sie mehrmals an ihrer Brust und verunglimpfte sie per Mail und SMS bei ihrem Partner und Arbeitgeber. Die Frau fühlte sich gezwungen, Fitnessclub und Wohnort zu wechseln.
Als der «Blick» gut zwei Jahre später mit deftigen Schlagzeilen über den Strafprozess vor dem Zürcher Bezirksgericht berichtete, sah sich X. ungerecht dargestellt und klagte gegen das Boulevardblatt wegen übler Nachrede.
Die Zürcher Staatsanwaltschaft eröffnete jedoch kein Strafverfahren. Begründung: Die Berichterstattung sei «wahrheitsgetreu» und damit nicht strafbar gewesen. Diesen Entscheid, der auch das Zürcher Obergericht stützte, zog X. schliesslich nach Lausanne weiter.
Vor dem Bundesgericht argumentierte X. unter anderem, die Berichterstattung habe ihn «weltweit als überführten Straftäter gebrandmarkt» und aufgrund der Internetpublikation hätten verschiedene Personen «die Vorwürfe für erwiesen gehalten und die Äusserungen weiterverbreitet».
Dem hielten die Lausanner Richter in der am Dienstag publizierten Urteilsbegründung entgegen, dass im «Blick»-Bericht explizit darauf hingewiesen werde, «dass der Beschwerdeführer heftig in Abrede gestellt habe, A. eine `schweinische Lesbe` genannt zu haben, und dass das Urteil später folge». Der «Blick» habe die Unschuldsvermutung deshalb nicht verletzt.
Medienstrafrechtlich besonders interessant ist aber ein weiteres Argument. Das Bundesgericht erklärt, dass eine Berichterstattung «wahrheitsgetreu» sei, «wenn sie die in der Gerichtsverhandlung gefallenen Äusserungen wörtlich oder sinngemäss wiedergibt. Unerheblich ist, ob diese Äusserungen selber wahr oder unwahr sind.»
Das heisst, der «Blick»-Artikel hat nicht allein schon dadurch gegen Paragraphen verstossen, dass er «das Gewicht auf andere Umstände legt als die Anklage», so zum Beispiel auf die in der mit fetten Lettern aufgemachten Schlagzeile erwähnte SMS, die sich strafrechtlich später als belanglos herausgestellt hat. Daran ändere auch «die reisserische Aufmachung im Stil der Boulevardzeitung» nichts.
Und weiter heisst es etwas umständlich im juristischen Jargon des Bundesgerichts: «Auch eine Gesamtbetrachtung der Berichterstattung mit Überschriften und Fotos führt zu keinem anderen Schluss, zumal in der Lehre die Ansicht vertreten wird, das Mass der für eine wahrheitsgetreue Berichterstattung verlangten Sorgfalt und die Ausführlichkeit der journalistischen Darstellung hingen auch von den Besonderheiten des jeweiligen Mediums und der Erwartungshaltung des Publikums ab.»
Mit anderen Worten: Laut «Lehre» sollen die Richter mit dem differenzierten Diskurs eines NZZ-Artikels härter ins Gericht gehen als mit dem emotionsgeladenen Schwung einer «Blick»-Story.