Seit der Wahl von Boris Johnson steht die BBC unter massivem Druck. Die Politologin Regula Stämpfli analysiert in ihrem Kommentar für den Klein Report die Rolle der Medien im Diskurs über die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Grossbritanniens und untersucht Parallelen zu den Entwicklungen in der Schweiz.
Die BBC gilt als DIE Qualitätsmedienanstalt weltweit. Während die Nationalsozialisten den staatlichen Rundfunk zum Partei- und Propagandaorgan umfunktionierten, schafften es zur selben Zeit nur die BBC und, was oft vergessen wird, auch Radio Beromünster, den Qualitätsjournalismus selbst in Kriegszeiten hochzuhalten.
Das journalistische Rezept beider Anstalten bestand darin, nicht einfach gegen die Achsenmächte Sendungen zu produzieren, sondern mannigfaltige Gefässe für Demokratie, Kultur und Zivilgesellschaft anzubieten.
Doch damit soll es nun vorbei sein: Radio Beromünster gibt es schon lange nicht mehr, nun wird auch die BBC attackiert. Ginge es nach dem Willen von Premier Boris Johnson, sollen die Mittel für die öffentlich-rechtliche BBC massiv gekürzt und auf Mitte der 2020er Jahre gestrichen werden.
Seit Boris Johnson via Netz und ihm nahestehende Medien nur noch den direkten Austausch mit der Öffentlichkeit pflegt, ist ihm der Qualitätsjournalismus ein Dorn im Auge. Johnson pflegt ein äusserst vulgäres Vokabular, lügt ohne Gewissen, beleidigt alle, die es wagen, ihm einen Spiegel vorzuhalten.
Johnson fährt einen radikalen Privatisierungskurs, was bedeutet, dass öffentliche Institutionen zugunsten von Adel, Krone, Kirche und Oxbridge-Elite umorganisiert werden. Dieses altbekannte Klientelsystem innerhalb der britischen Elite hat Boris Johnson schon in der City of London an die Spitze gespült. Nun greift das Rezept auch landesweit.
Die meisten Akademiker, Wirtschaftskapitäne, Qualitätsjournalisten oder Kulturschaffende rümpfen zwar empört ihre Nase, wenn von Boris Johnson die Rede ist, doch de facto profitieren diese Kreise überdurchschnittlich von der Pauperisierung der Mittelschicht wie auch von der Transformation der arbeitenden Bevölkerung in Deliveroo-Sklaven.
Boris Johnson gilt darüber hinaus als äusserst unterhaltender Politiker, der den britischen Humor hervorragend gegen Feminismus, Diversität und Demokratie einzusetzen weiss. Die Polit-Comedians müssen sich vorwerfen lassen, dass sie durch ihre jahrzehntelange Lächerlichmachung aller demokratischer Institutionen, von Abgeordneten und politisch engagierten Menschen am Aufstieg rumpöbelnder Populisten erheblich beteiligt sind. Politiker in Grossbritannien werden mehr und mehr nicht wegen ihrer Programme, sondern aufgrund ihres Unterhaltungswertes gewählt. Dies ist eigentlich DAS Tabu des liberalen Grossbritanniens.
Akademische und journalistische Kreise erklären den Wahlerfolg Boris Johnsons nach wie vor mit alten Schablonen. «Neoliberalismus» bleibt das Schlagwort auch im neuen Jahrhundert und am verheerenden Wahlresultat der Linken und Progressiven soll allein der unter anderem antisemitischen Positionen nahestehende Jeremy Corbyn schuld sein.
Die demokratischen Kräfte aus Medien, Kultur und Linkspolitik verkennen nach wie vor, wie leid es die Mittelschichten sind, Hass, Hetze und Rechtspopulismus immer nur mit veralteten Konzepten sozialistischer Kritik, dem Ruf nach einem starken Staat und Klassenkampf beantwortet zu kriegen. Zudem pflegen britische Journalisten untereinander einen selbstmörderischen Wettkampf. Der ehemalige Chef des «Guardian», Alan Rusbridger, beschreibt dies in seinem Buch «Breaking News». Rusbridger führt auch aus, wie korruptionsanfällig die britische Elite in Medien und Politik insgesamt ist.
Schon im Dezember 2019 warnte der «Guardian» davor, dass die BBC finanziell zu Tode geschrumpft werden soll. Boris Johnson boykottiert seit Langem das beliebte Polit-Format «Radio 4's Today Programme». Jamie Angus, Direktor der BBC World Service Group, nannte dies laut der «Süddeutsche Zeitung» eine «Schande» für alle Journalisten.
Es gibt aber auch gute News für das Rundfunk-Flaggschiff BBC: Die Finanzierung wird nur alle elf Jahre mit königlicher Urkunde von Queen Elisabeth II festgesetzt. Die BBC ist in allen Programmheften der britischen Parteien als wichtiger Pfeiler hervorgehoben. Erst Mitte 2020er Jahre wird erneut über die Lizenzvergabe diskutiert. Johnson wird bei der Demontierung der BBC also ziemlich viele rechtliche Register ziehen müssen.
Wohl deshalb titelte die Johnson-nahe «The Sun» zum Jahresende: «Clever king rat Boris Johnson is ready to wield his axe against Cabinet ministers, Supreme Court judges and the BBC.» Dies lässt nichts Gutes vermuten und erinnert nicht nur an Donald Trumps Hetze gegen Qualitätsjournalismus, sondern eher noch an die Umwandlung öffentlich-rechtlicher Institutionen, wie dies Recep Erdogan in der Türkei und Viktor Orban in Ungarn vormachen. Auch die «nationale Revolution» in Polen trägt Johnson-Züge avant la lettre.
Fazit: Die digitale Revolution sorgt nicht nur für neue Spielregeln in der Demokratie, für populistische politische Kommunikation, Filterblasen, Hetze, Hass und organisierte Unverantwortlichkeit, sondern manifestiert sich immer klarer politisch.
Es bleibt nicht nur in Grossbritannien, sondern in ganz Europa wie auch in der Schweiz ein grosses Rätsel, weshalb die demokratischen Kräfte sowohl punkto politisches Personal, politische Kommunikation, Kultur und punkto milliardenschwere Subventionen derart versagen, wenn es darum geht, die Demokratie der Zukunft zu gestalten.
Vielleicht ist es überall in den westlichen Demokratien wie in Grossbritannien: Solange die Eliten in Medien, Staatsverwaltung, Kultur und Politik noch in Selfie-Manier profitieren, ist ihnen, entgegen aller Rhetorik, die Demokratie, die Wahrung öffentlicher Räume, Partizipation oder Chancengleichheit für alle egal.
Nur so lassen sich die wahrhaft seltsamen Vorschläge beispielsweise der Presse- und Kulturförderung auch der Linken in der Schweiz erklären. Und nur so ist zu verstehen, dass sich der glorreiche Sieg öffentlich-rechtlicher Anstalten am 4. März 2018 mit dem wuchtigen Nein zu «No Billag» in sein Gegenteil verkehrt hat. Die SRG demontiert seitdem die wichtigsten Pfeiler der Schweiz, indem die Regionen, der Föderalismus sowie die Brückenbauerin Bern als Bundesstadt zugunsten des Medienmonopols Zürich politkommunikativ mehr oder weniger abgeschafft werden sollen.
Es wäre höchste Zeit, dies sowohl in Grossbritannien wie auch in der Schweiz vor unabhängigen Gremien zum Schutze öffentlich-rechtlicher Institutionen, Partizipation und Demokratie zu diskutieren. Das Problem dieser Forderung ist in beiden Ländern gleich: Die Unabhängigkeit innerhalb der Eliten ist seit der globalen Finanzkrise sowie dem ungebremsten Siegeszug digitaler Revolutionen nicht mehr wirklich gewährleistet. Es dominieren an allen Ecken und Enden die Selfie-Politik, der Selfie-Journalismus, die Selfie-Expertisen, die Selfie-Kultur.