Wer mit dem Nazi-Etikett hantiert, muss dies begründen. Auch dann, wenn damit eine rechtsextreme Gruppierung tituliert wird. Für den Presserat hat der «Blick» die Wahrheitspflicht verletzt.
Unter der Schlagzeile «Nazi-Schiff will Flüchtlingsboote stoppen» veröffentlichte der «Blick» am 6. August 2017 in seiner Online-Ausgabe einen Bericht über die private Seenotrettung von Geflohenen und ihre Verhinderer. Dem Titel war die Oberzeile «Selbstjustiz im Mittelmeer» vorangestellt.
Der Bericht handelte davon, wie die rechtsextreme «Identitären Bewegung» ein Schiff gechartert und vor der lybischen Küste versucht hatte, Hilfsorganisationen bei der Rettung von Flüchtlingen zu behindern.
Ein «Blick»-Leser störte sich daran, dass die Identitäre Bewegung des Betriebs eines «Nazi-Schiffes» bezichtigt würde. Zudem beschwerte er sich beim Presserat darüber, dass der Bewegung unterstellt würde, Selbstjustiz verüben zu wollen.
Die «Blick»-Redaktion entgegnete, dass es sich bei «Nazi-Schiff» und «Selbstjustiz» nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Werturteile handle. Daher greife die Wahrheitspflicht des Journalistenkodex in diesen Fällen nicht. Eine Gruppe, die rechts vom rechten Rand des Parteienspektrums politisiere, müsse mit dem Risiko leben, irgendwann als Nazis verglichen zu werden.
Für den Schweizerischen Presserat hat der «Blick» zu dick aufgetragen: Mit der Schlagzeile «Nazi-Schiff will Flüchtlingsboote stoppen» wurde eine rechtsextreme Gruppierung «ohne weitere Erklärung» mit einem Nazi-Etikett versehen. «Dies stellt nicht eine - an sich zulässige - Zuspitzung, sondern eine Überspitzung dar», schreibt das Gremium in seiner Stellungnahme vom Freitag.
Ein Vergleich oder gar eine Gleichsetzung mit den Nazis sei nicht ein einfaches Werturteil, wie der «Blick» argumentierte, sondern eine «schwerwiegende Unterstellung, welche sich nur durch eine konkrete Begründung rechtfertigen liesse». Die Erklärung im Lead, es handle sich um ein Schiff der rechtsextremen Identitären Bewegung reiche als Relativierung nicht aus, so der Presserat weiter. Der «Blick» habe damit die Wahrheitspflicht verletzt.
Der Begriff der «Selbstjustiz» dagegen hat der «Blick»-Artikel zu Recht verwendet. Selbstjustiz beinhalte, dass Private das staatliche Gewaltmonopol beanspruchten. Mit ihrer Aktion «Defend Europe» habe die Identitäre Bewegung eine Rolle übernommen, die gemäss deren Überzeugung eigentlich politische Instanzen übernehmen müssten. «In diesem Zusammenhang von Selbstjustiz zu sprechen ist somit durchaus angebracht», so die Einschätzung des Presserats.