«Blick am Abend» hat mit dem Foto einer bei den Brüsseler Terroranschlägen verletzten Frau deren Privatsphäre und Menschenwürde nicht verletzt. Der Schweizer Presserat stellt das Interesse der Öffentlichkeit, von der «menschlichen Tragödie hinter dem Terrorakt» zu erfahren, höher als die Privatsphäre des fotografierten Terroropfers.
«Bomben im Herzen der EU» titelte das Ringier-Pendlerblatt am Abend des 22. März und veröffentlichte mehrere Bilder über die Terroranschläge vom Morgen in Brüssel. Darunter war das Bild einer sitzenden Frau in gelber Jacke, leicht verletzt, gut identifizierbar und mit halb entkleidetem Oberkörper. Neben ihr sitzt eine weitere Frau, die mit blutverschmierter Hand telefoniert. «Blick am Abend» hatte das Bild von der Nachrichtenagentur Associated Press übernommen.
Laut Beschwerde, die bei der Presseaufsicht einging, verletzte der Abdruck des Bildes sowohl Privatsphäre wie auch Würde der Abgebildeten. «Zumindest hätte das Gesicht der Frau umfassend verdeckt werden sollen.»
Iris Mayer, Co-Chefredaktorin der «Blick»-Gruppe, schlug dem Presserat vor, den Fall auf eine allgemeine medienethische Ebene zu heben. Die Journalistin verlangte, dass die anderen inländischen Medien, die dieses Bild publiziert hatten, in das Verfahren eingebunden werden sollten. Der Rat jedoch lehnte ab.
Daraufhin verzichtete Ringier auf eine ausführliche Stellungnahme: Es sei «ziemlich abwegig», ein Bild, das «um die Welt ging», aus der «Froschperspektive des schweizerischen Pressekodex» beurteilen zu wollen. Die abgebildete Frau Nidhi Shaphekar habe sich zudem ausdrücklich positiv zur Veröffentlichung des Fotos geäussert. Auch zeige das Foto Shaphekar nicht in einer speziell «invasiven» Art.
Der Presserat betont in der am Dienstag veröffentlichten Urteilsbegründung, wie wichtig es sei, dass Journalisten über Terrorakte berichten und auch dokumentierende Bilder veröffentlichen können. Es gehe um den «Kern der Reportagefotografie»: Die Fotografin zeigt der Öffentlichkeit die menschliche Tragödie hinter den Terroranschlägen am Brüsseler Flughafen Zaventem. «In solchen Notsituationen ist es nicht praktikabel, die betroffenen Personen zu fragen, ob sie in die Veröffentlichung ihres Bildes einwilligen.»
«Das öffentliche Interesse an einer Publikation ist klar der Privatsphäre der Abgebildeten überzuordnen», so das Fazit des Rats. Die Frau sei auch nicht in einer entwürdigenden Situation «invasiv» abgebildet: Sie sitze auf einem Stuhl, offenbar ausserhalb der direkten Gefahrenzone, und das Bild zeige auch keine schweren Verletzungen: «Ihre Menschenwürde war gewahrt».