Das Verbot, sachlich ungerechfertigte Anschuldigungen zu veröffentlichen, ist verletzt, wenn eine Zeitung schwere Vorwürfe veröffentlicht, ohne ihrer Leserschaft die wesentlichen faktischen Grundlagen mitzuliefern. Zu diesem Schluss kam der Presserat in einer am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Der Fall: Im Januar 2002 veröffentlichte die Zeitung «Le Cafetier» des Wirte- und Hoteliervereins Genf einen Artikel zu einer rechtlichen Auseinandersetzung zwischen dieser Organisation und einem ihrer ehemaligen Präsidenten. Der Text kritisierte die Rechtsanwältin des ehemaligen Präsidenten, die das Recht ignoriere, unhaltbare Positionen vertrete und sich insgesamt lächerlich verhalte. Weiter erwähnte der Bericht eine gegen den ehemaligen Präsidenten eingereichte Strafanzeige wegen Urkundenfälschung und Betrug. Die Anwältin gelangte daraufhin an den Presserat. «Le Cafetier» wies die Beschwerde als unbegründet zurück.
Der Presserat weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Leserschaft angesichts der Vorwürfe gegenüber der Anwältin nicht zwischen Fakten und Wertungen unterscheiden konnte. Zudem hätte der Artikel faktische Grundlage der Vorwürfe nennen müssen. Auch wenn der Redaktion nicht vorzuwerfen sei, dass sie im beanstandeten Artikel aus Produktionsgründen nicht mehr über die Einstellung des Strafverfahrens gegen den ehemaligen Präsidenten informieren konnte, wäre sie jedoch verpflichtet gewesen, diese Information in einer Berichtigung nachzuliefern.
Mittwoch
20.11.2002