Nach den Protestworten hat Reporter ohne Grenzen (RSF) am Dienstagabend beim litauischen Generalstaatsanwalt Strafanzeige gegen Alexander Lukaschenko folgen lassen.
Grund ist die erzwungene Umleitung des Ryanair-Flugs RF4978 von Athen nach Vilnius. RSF zeigt den belarussischen Präsidenten wegen «Entführung eines Flugzeugs mit krimineller Absicht» gemäss Artikel 251 und 252-1 des litauischen Strafgesetzbuches an. Nach der Landung in Minsk war der Journalist Roman Protasewitsch verhaftet worden.
Die Anzeige der Journalistenorganisation zeichnet die Ereignisse vom 23. Mai detailliert nach. Die Behauptung aus Minsk, der Flug habe aufgrund eines Bombenalarms umgeleitet werden müssen, hält RSF für eindeutig vorgeschoben, wie die Menschenrechtsorganisation mitteilt. Es gebe «viele glaubwürdige Indizien, dass die belarussische Regierung einen falschen Alarm ausgelöst hat, um das Flugzeug zur Landung zu zwingen und den Journalisten festzunehmen», heisst es in der Beschwerde.
«Wir zeigen Alexander Lukaschenko persönlich an, weil diese Entführung mit terroristischem Hintergrund direkt und offenkundig auf sein Betreiben geschehen ist», erklärt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Und er wird konkret: «Das litauische Strafgesetzbuch stellt eine Flugzeugentführung, die ‚das Leben oder die Gesundheit der Crew oder der Passagiere gefährdet’, unter Strafe. ‚Terroristische Zwecke‘ sind damit definiert, dass sie ‚beabsichtigen, die Öffentlichkeit oder Teile davon einzuschüchtern‘. Dieses Vorgehen ist beispiellos. Lukaschenko will die ganze Gesellschaft einschüchtern, besonders aber Journalistinnen und Journalisten.»
RSF ist ausserdem der Ansicht, dass die belarussische Regierung mit der Entführung die Europäische Union destabilisieren will. «Ein europäisches Flugzeug wurde attackiert, das zwischen zwei europäischen Hauptstädten unterwegs war, in einem EU-Mitgliedsstaat (Polen) registriert war und einem Unternehmen aus einem anderen EU-Mitgliedsstaat (Irland) gehört. Diese Entführung sollte ein Test für die EU sein. Das hat die gestrige Reaktion des europäischen Rats verdeutlicht», so das RSF-Schreiben.
Neben Protasewitsch waren 125 weitere Personen an Bord, darunter auch Sofia Sapega, die Freundin des 26-Jährigen. Der Journalist lebt seit 2019 in Polen und war Chefredaktor des Telegram-Kanals «Nexta». Dieser galt seit dem Beginn der Proteste in Belarus am 9. August 2020 als eine der wichtigsten Informationsquellen.