Die Zürcher Bahnhofstrasse glitzert und glänzt scheinbar makellos. Ausgerechnet in dieser perfekten Konsumwelt sind in den Schaufenstern von fünf Modegeschäften Schaufensterpuppen mit Behinderung zu sehen. Diese Werbeaktion der Organisation Pro Infirmis, die von der Agentur Jung von Matt gestaltet wurde, fragt «Wer ist schon perfekt?».
Der englischsprachige Film zur Aktion am Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember wurde innerhalb einer Woche auf Youtube über 4,2 Millionen Mal angeklickt. Zur rasanten Verbreitung trugen Dutzende Medienberichte in der Schweiz, in den USA, in Puerto Rico, Frankreich und zahlreichen weiteren Ländern bei.
«Ich wurde wegen dem Film sogar auf der Strasse erkannt», erzählt Alex Oberholzer dem Klein Report. Eine Puppe nach Abbild des Radiomoderators und Filmkritikers war an der Bahnhofstrasse zu sehen. «Die Reaktionen waren durchwegs positiv. Auffällig war, dass sehr viele junge Leute auf mich zukamen und mir zu meinem Mut gratulierten.»
Dabei habe er gar keinen Mut gebraucht, um bei der Kampagne mitzumachen. Er habe allen Beteiligten vertraut, erklärt er. «Ausserdem war das Ausgestellt-Sein für mich nichts Neues. Menschen mit Behinderung werden sowieso angestarrt. Als Puppe im Schaufenster erhält dieses Angeschautwerden einfach eine andere Konnotation.»
Für Alex Oberholzer war es aber dennoch speziell, als er zum ersten Mal vor der Schaufensterpuppe nach seinem Abbild stand. Er sei erschrocken, sagt er: «Mir wurde auf einmal bewusst, wie wenig Bodenhaftung ich habe. Ich bin eigentlich nur durch Hilfsmittel wie die Räder des Rollstuhls oder meine Stöcke mit dem Boden verbunden. Die Puppe machte mir klar, dass mein Körper der Körper eines Traumtänzers ist, der mit der Schwerkraft auf Kriegsfuss steht.»
Der Film von Alain Gsponer zeigt diesen ersten Blick Oberholzers und der vier anderen Aktionsteilnehmer auf die Modepuppen nach ihrem Ebenbild. Und er zeigt auch die Reaktionen der Leute, die ins Schaufenster hineinschauen und sich über die ungewöhnlichen Mannequins wundern.
Den Erfolg der Aktion erklärt Oberholzer mit dem professionell gemachten Kurzfilm von Regisseur Gsponer. «Der Film nimmt einen von der ersten Sekunde an ein, durch die Musik und die liebevollen Bilder. Viele Leute haben mir erzählt, dass sie beim Anschauen des Filmes geweint haben.»
Das Thema spreche Leute auf dem ganzen Erdball an: «Alle Menschen rennen einem Schönheitsideal hinterher und spüren dessen Druck. Der Film entlarvt dieses Defizitdenken als sinnlos und regt auf eine sympathische Art zur Diskussion über Normen und Ideale an.»
Alex Oberholzer ist froh, dass Pro Infirmis mit der Aktion zu Diskussionen anregen konnte. Nun hofft er, dass die Puppen nicht einfach in einem Keller verschwinden, sondern auf Welttournee gehen werden und ihre Wirkung weiter entfalten können.