In der arabischen Revolution gab es eine Interaktion zwischen alten und neuen Medien. Doch weder haben sich die Strukturen des Mediensystems noch der Journalismus seither wirklich verändert. Dies ist das Fazit einer Tagung mit vor allem arabischen Referenten bei der «Deutschen Welle» in Bonn. Roger Blum war für den Klein Report vor Ort.
«Die Rolle der Medien im Transformationsprozess der arabischen Welt» war das Thema der Tagung, die die Deutsche Welle-Akademie zusammen mit einigen umliegenden Hochschulen in Bonn durchführte. Wie wichtig waren die Social Media während der Revolution in Ägypten oder Tunesien? «Sie unterstützten die Revolution, aber sie verursachten sie nicht», sagte Mohammed Ibrahim Ayish, Professor für Medienforschung in Ottawa (Kanada). Das Internet habe eine vergleichsweise bescheidene Rolle bei der Transformation gespielt. Es habe auch vor der Internetzeit schon Aufstände und Revolutionen im arabischen Raum gegeben, fügte Ayish hinzu.
Asiem El Difraoui vom German Institute for International and Security Affairs in Berlin und Nadia Leihs, Forscherin an der Universität Erfurt, betonten die Interaktion zwischen alten und neuen Medien: Social Media ergänzten und beschleunigten traditionelle Massen- und Individualkommunikationsmittel wie Lauffeuer, Grafitti, Telefon. Die Durchdringung mit Mobiltelefonen ist in Ägypten laut El Difraoui etwa doppelt so stark wie die des Internets: 60 Prozent gegen rund 30 Prozent.
Befragungen unter Social-Media-Nutzern in Ägypten, die Adel Saleh und Eira Martens unabhängig voneinander durchführten, erhellten deren Struktur und Selbstverständnis. Saleh, Assistenzprofessor für politische Kommunikation an der Sohag-Universität in Ägypten, befragte 200 Social-Media-Nutzer. Er fand heraus, dass diese die sozialen Netzwerke durchaus für politische Zwecke nutzen und dass 58 Prozent eine Verbindung haben zu politischen Gruppen, sich selber aber von aktiver politischer Partizipation eher fernhalten. Martens, Forschungsassistentin an der Deutsche Welle-Akademie, führte elf Leitfadeninterviews und konnte erkennen, dass es sich um lockere Netzwerke handelt mit schwachen Beziehungen.
Mehrere Redner wiesen darauf hin, dass es just die früheren Präsidenten Mubarak in Ägypten und Ben Ali in Tunesien waren, die die technologischen Voraussetzungen für die Revolution schufen, indem sie das Internet, Satellitenfernsehkanäle und das Mobiltelefon zuliessen. Hamza Saad Mohammed, Assistenzprofessor für politische Kommunikation und Public Relations an der Universität von Sharjah (Arabische Emirate), wies darauf hin, dass alle ägyptischen Regenten die Medien nutzten, um ihre Botschaften zu vermitteln. Die Medien waren immer unter politischer Kontrolle, erklärte er. Die Präsidenten Sadat und Mubarak hätten zwar mehr Diversität zugelassen, so eigene Zeitungen oppositioneller Parteien, aber die Kontrolle sei deswegen nicht verschwunden. Das seit 1993 zugelassene Internet habe zwar die Machtbalance zwischen Staat und Medien verändert, argumentierte Saad Mohammed. Aber sowohl vor wie nach der Revolution von 2011 landeten kritische Journalisten im Gefängnis.
Dass sich das Mediensystem nicht wirklich verändert hat, bestätigten Nadia Leihs und Mohammed Ibrahim Ayish: Die meisten Medien, darunter die wichtigsten Printmedien, gehörten dem Staat. Und die privaten Medien seien nicht im westlichen Sinn privat, sondern gehörten beispielsweise politischen Führern und Financiers, die der alten Regimeelite nahestünden. Die Situation in den Medien sei wegen der herrschenden Zensur und Intoleranz «derzeit noch schrecklich», befand Ronald Meinardus, Regionaldirektor der Friedrich Naumann-Stiftung in Kairo.
Ebenso habe sich der Journalismus kaum gewandelt, erzählte Nadia Leihs, die in Kairo Interviews durchgeführt hatte: Die niedrigen Löhne führten zu Korruption, der Druck und die Zensur lösten Angst aus und bewirkten, dass Journalisten Selbstzensur ausübten. Sie stünden unter dem Einfluss der engen Beziehungen zur alten Elite, die sie mit ihrer Berichterstattung günstig stimmen wollten. Wohl auch deshalb dominiere in den Medien ein strenger Antiislamismus und sei Korruption in der Armee ein Tabuthema, behauptete die Erfurter Forscherin.
Sie trug einen Katalog an Postulaten vor, was sich im Mediensystem Ägyptens ändern müsse:
- Nötig sei eine Strukturreform, die die Redaktionsbürokratien beseitige und die überdimensionierten Redaktionen verkleinere.
- Nötig sei mehr Professionalität, indem jeweils beide Seiten eines Konflikts gezeigt werden.
- Nötig seien jüngere Journalisten im mittleren Management, um den noch immer vorherrschenden Paternalismus zu beenden.
- Nötig seien Gesetzesänderungen, etwa ein liberaleres Strafrecht und ein Informationsfreiheitsgesetz als Basis für ernsthaften Journalismus.
- Und nötig seien Instrumente der Selbstregulierung