Ein «Blick»-Journalist hatte seinen Interview-Partner nach einem Recherchegespräch vor die Alternative gestellt: entweder Korrekturlesen der Zitate oder Anonymisierung. Für den Presserat ein «unethischer» Deal.
«Dieser Aggro-Lehrer braucht selber Hilfe!», titelte ein Artikel von Marco Latzer, der am 30. Mai 2019 im «Blick» erschien. Es geht um den Finanzberater «Wolfgang D.», der sich als Christ bezeichnet und im Internet Schülern für 50 Franken Unterstützung anbietet.
Wolfgang D. jedoch, so der Artikel weiter, bräuchte selbst Unterstützung, da er vom Staatsanwalt wegen gewalttätigen Verhaltens per Strafbefehl gebüsst worden sei.
Über diese Handgreiflichkeiten äussert sich D. im «Blick»-Artikel: «Mit 50 habe ich beschlossen, mir nicht mehr alles gefallen zu lassen», wird Wolfgang D. zum Beispiel zitiert. Seine Verurteilung empfinde er als «unfair», aus Zeit- und Geldgründen hätte er sie aber nicht angefechtet.
Nach dem einstündigen Recherchegespräch hat Marco Latzer den Protagonisten seiner Story vor die Wahl gestellt, entweder die Zitate korrekturlesen zu können oder im Artikel anonymisiert zu werden, wie aus der Stellungnahme des Presserats hervorgeht.
Gegenüber dem Aufsichtsgremium kritisierte der Mann den «Blick» wiederum dafür, dass er die Zitate nicht habe gegenlesen könne; zudem sei er trotz komplett geändertem Namen erkennbar gewesen.
Ringier argumentierte gegenüber dem Presserat, Wolfgang D. habe sich für die Anonymisierung entschieden. Und diese sei gelungen, der Beschwerdeführer habe «nur von sich selbst» erkannt werden können.
Doch erlischt das Recht auf Gegenlesen, wie es in der Richtlinie 4.6 des Journalistenkodex geregelt ist, wenn der Zitierte nicht identifiziert werden kann? Im Prinzip schon, sagt der Presserat, aber nur dann, wenn der Zitierte «vollständig» anonymisiert wird.
Das sei in der «Blick»-Story nicht der Fall gewesen: Auf dem abgedruckten Porträtfoto bleiben seine Haare und sein Lächeln gut erkennbar. Zusammen mit den Angaben über seine Wohngegend und seine Aktivitäten sei es möglich gewesen, Wolfgang D. «ausserhalb seines familiären, sozialen oder beruflichen Umfelds zu identifizieren», so der Presserat.
«Darüber hinaus hält der Presserat den vom Journalisten seinem Gesprächspartner vorgeschlagenen ‚Deal‘ für unethisch: die Anonymisierung im Austausch für das Recht auf Korrekturlesen.»