Die Diskrepanz zwischen Diskurs und Realität könnte im Fall Patricia Schlesinger nicht grösser sein. Und es gibt Ähnlichkeiten mit dem Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).
Ein Kommentar für den Klein Report von Medienexpertin Regula Stämpfli («Trumpism – ein Phänomen verändert die Welt»).
Hier Woke-Ideologie auf Sprechakt-Ebene, da Extra-Massage-Sitze in der Luxuslimousine, ein exorbitantes Honorar vom Kumpel im Verwaltungsrat abgesegnet, private Abendessen und Reisen sowie ein Konzern-Chauffeur, der rund um die Uhr zur Verfügung steht.
Der Unterschied zu den fest angestellten und freien Redaktoren und Redaktorinnen, die aufgrund massiver Kürzungen planen, rechnen und weiter einsparen müssen, könnte nicht grösser sein. Die Affäre Schlesinger entlarvt den Gap zwischen woker, öffentlich-rechtlich gepflegter Rhetorik und Managment-Selfie-Gier.
Die Enthüllungen aus dem Axel-Springer-Konzern entlarven am Beispiel des RBB eine seit über 20 Jahren beliebte Selbstbedienungsmentalität in den Manager-Etagen. «Gier statt Hirn» titelte der «Spiegel» in einem Kommentar, der Schaden für das Image aller öffentlich-rechtlichen Institutionen ist riesig.
Patricia Schlesinger war seit 2016 im Amt und benahm sich laut Medienberichten so, wie sich offensichtlich deutsche Intendanten benehmen: nämlich mit einer Vermischung von dienstlichen und privaten Verpflichtungen, teuren Umbauten für den Sender und das eigene Büro, dubiosen Beraterverträgen und einer Digitalisierungsstrategie, die wenig Effizienz aufweist, dafür immense Kosten verursacht.
Gerade letztes Beispiel ist uns auch aus der SRG bekannt, nur sind hier die Dimensionen kleiner, und die Skandale (#Me-Too in der Romandie) versanden meist elegant. Doch der massive Abgang von gestandenen Redaktoren und Redaktorinnen beim Schweizer Radio und Fernsehen bedeutet ebenso wenig Gutes wie die dem Schlesinger-Skandal vorangegangenen Journalisten-Proteste beim RBB.
Der Umzug des SRF-Radiostudios Ende 2021 sorgt bis heute für prominente Abgänge und Unmut bei den Journalistinnen und Journalisten. 2021 habe über die Hälfte den SRF-Redaktionen den Rücken gekehrt – «Ein einzigartiger Aderlass in der Geschichte von Radio SRF» schrieb der SSM damals.
Die neuen Managerinnen scheinen den Auftrag als Sparerin und Zerstörerin von traditionellem Qualitätsjournalismus offensichtlich ernst zu nehmen.
Patricia Schlesinger – wiederum SRF nicht unähnlich – unternahm schmerzhafte Programmreformen, speckte bei Kultursendungen massiv ab und setzte entsprechende Personaleinsparungen durch. Dies zur selben Zeit, als sie sich eine über 16-prozentige Gehaltserhöhung organisierte – in der Psychologie spricht man von «kognitiver Dissonanz». Und es sollte ein millionenschweres neues «Medienhaus für Digitalisierung» gegen alle Widerstände durchgedrückt werden: Erst der schmachvolle Abgang Schlesingers beerdigte dieses Monsterprojekt.
Alle durch die Medien durchgesickerten Vorwürfe sind nun Gegenstand einer umfassenden externen Compliance-Prüfung, und auch die Staatsanwaltschaft hat sich eingeschaltet. Es geht um den «Anfangsverdacht der Untreue und Vorteilsnahme» in den Fällen Patricia Schlesinger und Wolf-Dieter Wolf, der mit seinen strammen 78 Jahren bis vor kurzem zwei Doppelmandate ausfüllte: als Chef der Messe und als Chef des RBB-Verwaltungsrats.
Allein dies ist eine Absurdität: Zwei derart schwergewichtige Doppelmandate mit Gestaltungsbedarf für die Zukunft in die Hände eines fast 80-Jährigen zu legen – erstaunlich, nicht wahr? Dies erinnert wiederum an die Schweiz: Marco Solari, fast 78-jährig (sein Geburtstag ist im Dezember), amtiert immer noch munter als Chef des Locarno Film Festival.
Und – dies ein vorläufiges Fazit – um der Beziehungskorruption im RBB in der Affäre Schlesinger noch ein Sahnehäubchen hinzuzufügen, folgende Recherche: Raten Sie mal, wer die schwerreiche Kunstsammlung des RBB laut Wikipedia leitet? Rudolf Großkopf, der Ehemann der vormaligen Intendantin des RBB, Dagmar Reim.