Ausführlich berichtete die «Aargauer Zeitung» (AZ) zwischen Januar und Anfang Februar über ein Strafverfahren gegen einen Lenzburger Rechtsanwalt wegen «komplexer Vermögensdelikte» - mit Namensnennung und Bild. Nun hat der Presserat eine Beschwerde des Beschuldigten teilweise gutgeheissen. Das Gremium kam zum Schluss, dass die Tageszeitung der AZ Medien in ihrer Berichterstattung die Anhöhrungspflicht bei schweren Vorwürfen verletzt hat. Auch habe die wiederholte Publikation eines Fotos des Anwalts dessen Privatsphäre verletzt.
Im Raum stand die Frage, ob ein Beschuldigter zu neuen schweren Vorwürfen jedesmal anzuhören ist. Nicht verletzt wurde die Anhörungspflicht nach Ansicht des Presserats durch den ersten Artikel vom 12. Januar. Der Journalist Thomas Röthlin habe am Vortag mehrmals versucht, den Rechtsanwalt zu erreichen. Zwar erscheine eine Antwortfrist von etwas mehr als einem halben Tag etwas knapp, sie sei aber «gerade noch genügend», so der Presserat in seiner am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme.
Bei den folgenden Artikeln machte die AZ gegenüber dem Presserat geltend, dem Anwalt bei neuen Vorwürfen stets Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben und auch jeweils vermerkt zu haben, wenn dieser darauf verzichtete. «Diese Behauptung», schreibt der Presserat, «hält einer näheren Betrachtung nicht stand», und er heisst die Beschwerde bezüglich dreier Artikel gut. Den Artikeln sei nicht zu entnehmen, ob die AZ dem Beschuldigten die Vorwürfe zur Stellungnahme unterbreitet habe oder nicht.
Die Namensnennung durch die AZ ist laut Presserat gerechtfertigt gewesen. Dies, weil Rechtsanwalt ein Monopolberuf sei und das Strafverfahren in Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehe. Doch sei es fraglich, «ob es gerechtfertig war, den Namen des Beschwerdeführers in einer penetrant anmutenden Art und Weise immer wieder prominent zu nennen», so der Presserat.
Einen Verstoss gegen Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sieht der Presserat dagegen in der wiederholten Veröffentlichung eines Porträts des Anwalts. Dadurch werde der Beschuldigte für jedermann erkennbar, der ihm irgendwo begegne. «Da er so in unverhältnismässiger Weise an den Pranger gestellt wird, ist die Beschwerde unter diesem Aspekt gutzuheissen.»
Am 3.9.2012: Roman Seiler und Matthias Niklowitz wechseln ins Wirtschaftsressort der «Aargauer Zeitung»