Warum ist Journalismus ein Traumberuf? Und mit welchen Problemen ist er konfrontiert? Dazu äusserten sich 210 Referierende im Plenum und in über 100 Panels an der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg.
Die «Verschlossene Auster», der Preis für Informationsblockierer, ging an den deutschen Bundesinnenminister Friedrich. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
«Schlechte Zeiten! Gute Zeiten! Aufbruch im Umbruch» hiess diesmal das Motto der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche in Hamburg, und die Veranstalter wollten damit zum Ausdruck bringen, dass Journalismus trotz der schwierigen Rahmenbedingungen ein Traumberuf ist.
Armin Wolf, stellvertretender Chefredaktor des ORF in Wien, erläuterte daher in seiner Rede, warum Journalismus so faszinierend ist. Zuerst schilderte er, wie er 1989 nach Prag reiste, als dort Zehntausende auf dem Wenzelsplatz friedlich gegen das kommunistische Regime demonstrierten. Auf dem Balkon, von dem Reden gehalten wurden, standen nicht nur die führenden Leute der Charta 77, unter ihnen Václav Havel, dort erschien nach 20-jähriger Versenkung auch Alexander Dubcek, die Legende des «Prager Frühlings» von 1968.
An einer anschliessenden Medienkonferenz erhielt Havel plötzlich die Nachricht, dass das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei zurückgetreten sei. Die Dissidenten fielen sich spontan um den Hals und weinten vor Freude. Auch Armin Wolf kamen die Tränen.
In solchen Momenten ganz nahe dran zu sein, das mache Journalismus lohnend, sagte Wolf. Journalisten würden dafür bezahlt, neugierig zu sein, nachzufragen, zu lernen und zu verstehen. Ihre Arbeitsbedingungen hätten sich in verschiedener Hinsicht verbessert. Vor 25 Jahren habe man noch 70 Kilogramm schwere Übermittlungsgeräte herumschleppen müssen, heute sei die Kommunikation äusserst einfach. Hätte er damals wissen wollen, was im «Prager Frühling» eigentlich passiert war, hätte er sich im Zeitungsausschnittsarchiv des ORF kundig machen müssen, heute müsse man bloss googeln. Es habe noch nie so viel guten Journalismus gegeben wie heute und noch nie so viel Trash. Die Pressefreiheit sei heute die Freiheit von 2,7 Milliarden Menschen mit Internetanschluss, ihre Meinung ins Netz zu stellen.
Wolf kritisierte, dass die Medienunternehmen immer noch kein Rezept gefunden hätten, wie sie mit dem Internet umgehen wollen. Die Journalisten müssten sich vor allem bewusst sein, dass sie Profis sind. Sie würden gebraucht. Der Journalismus sei die Infrastruktur der demokratischen Gesellschaft. Die Aufgabe der Journalistinnen und Journalisten sei es, wie der frühere ORF-Intendant Gerd Bacher einmal formuliert hat, zu unterscheiden zwischen Wichtigem und Unwichtigem, zwischen Wahrem und Unwahrem, zwischen Sinn und Unsinn. Dabei müssten sie sich im Netz bewegen: Ein Journalist ohne Twitter-Account sei heute so unmöglich wie vor 25 Jahren ein Journalist ohne Telefon.
Weniger gnädig mit den Medien ging die Autorin und Journalistin Silke Burmester um, die vor allem für die taz in Berlin und für «Spiegel online» schreibt. Sie fand es beschämend, dass es in Deutschland keinen Aufschrei gibt über den empörenden Beschluss der griechischen Regierung, das staatliche Radio und Fernsehen abzuschalten.
Sie taxierte Medien, in denen sich Journalistinnen und Journalisten nicht für etwas engagieren und für etwas stehen, als langweilig und austauschbar, und fand, auch öffentliche Kritik an Medienleuten des eigenen Hauses müsse möglich sein. Solche Sachkontroversen intern auszutragen, wie das der «Spiegel» gerade mit der Debatte über die Stellung der Frauen in den Medien tue, sei schwach.
Viele Medien berichteten nicht über das, was die Leute wirklich beschäftigt. Und das Haus Springer sei mittlerweile nur noch ein 24-7-Kaufhaus. Das Einzige, was sich positiv verändere, sei die Situation der Frauen in den Medien: Das Quotenthema sei gesetzt, es lasse sich nicht mehr verdrängen, sagte Burmester.
Die Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche bot mit über 100 Panels und 210 Referierenden ein reichhaltiges Menu. 400 Personen nahmen an der Tagung teil, darunter auch eine ganze Anzahl Schweizer.
Ein Strang an Panels war ganz dem Lokaljournalismus gewidmet, ein anderer dem Medizinjournalismus. Im «Erzählcafé» ging es um zahlreiche schwierige investigative Recherchen, oft im kriminellen und mafiösen Bereich. In weiteren Panel-Abfolgen kamen Themen des Medienrechts und der Online-Recherche zur Sprache. Spezielle Panels galten der syrischen Tragödie sowie dem Journalismus in China, in Griechenland, in Iran und in Aserbaidschan.
Die jährlich vergebene «Verschlossene Auster», der Preis für die schlimmsten Informationsblockierer, ging diesmal an den deutschen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Als Verfassungsminister müsste er sich eigentlich für die Grundrechte einsetzen. Er lehnte aber mehrfach Akteneinsichtsgesuche von Medien ab und musste durch Verwaltungsgerichtsentscheide dazu gezwungen werden.
Die Laudatio hielt der frühere «Spiegel»-Chefredaktor Georg Mascolo. Er unterstrich die Wichtigkeit des Informationsfreiheitsgesetzes. Friedrich erschien nicht zur Entgegennahme der Auster.