Mit der Erfahrung von sechs gewonnenen Cannes-Lions weiss Olivier Girard, Gründer und Creative Director von M&C Saatchi, was es braucht, um eine der begehrten Auszeichnungen für Kreative zu gewinnen. Im zweiten Teil des Interviews mit Vera Tschan für den Klein Report beurteilt er die Chancen der Schweizer Teams, einen «Löwen» mit nach Hause zu nehmen und plädiert: «Bitte nicht die Ideen vergangener Gewinner nachahmen!»
Wie verhält sich die Schweiz in der Werbebranche im Vergleich?
Olivier Girard: «In Bezug auf die Werbekreativität verhält sich die Schweiz im Vergleich zu den anderen Ländern typisch schweizerisch: Respektvoll, scheu, seriös. Das sind eigentlich gute Qualitäten, in der Werbung sind das jedoch introvertierte und nicht kreative Werte. Dies ist Teil unserer DNA, wir könnten aber auch stärker auftreten.»
Hinken unsere Werber der Konkurrenz hinterher?
Girard: «Ehrlich gesagt, kann man nicht behaupten, ob die Schweiz zurückgeblieben oder vorne mit dabei ist, das ändert sich sowieso ständig. Aber man kann sagen, dass wir weniger wagen als die anderen, dass uns eine gewisse Spontaneität fehlt und dass wir nicht gerne provozieren. Wir sind bescheiden.»
Können Sie Gründe dafür benennen?
Girard: «Vielleicht liegt das auch daran, dass gewisse Schweizer Kunden pragmatischer, kartesischer und somit auch zögerlicher im Bezug auf Kreativität sind. Vielleicht legen wir zu viel Wert auf gewisse Studien, wodurch die Agenturen weniger wagen bis zu dem Punkt, wo man sich gar nichts mehr traut. Der Ball liegt bei uns, sich dieser Herausforderung zu stellen.»
Drei Schweizer Teams nehmen am Young-Lions-Wettbewerb teil. Wie sehen Sie ihre Chancen? Haben Sie Tipps?
Girard: «Unsere Young Lions haben genauso gute Chancen wie die anderen. Der einzige Ratschlag, den ich ihnen geben kann, ist sich etwas zu trauen. Sie sollen sich gehen lassen, sich keinen unnötigen Druck aufsetzen und schnell arbeiten, sehr schnell. Das Zeitmanagement ist ausschlaggebend. Es ist wie bei einem Pitch: 90% der gegebenen Zeit nutzen, um viele Konzepte zu erarbeiten. Anschliessend sollen sie diese gut beurteilen und die beste Idee auswählen. Die restlichen 10% der Zeit sollen sie sparen, um ihre Idee prächtig zu produzieren. Einfach!»
Sie selber haben bereits sechs Lions nach Hause gebracht. Was ist das Geheimnis einer guten Kampagne?
Girard: «Falls es ein Geheimnis gäbe, würde ich es Ihnen sicher nicht verraten. Aber es gibt keins. Als erstes darf man es sicherlich nicht so machen wie die anderen und nicht die letztjährigen Gewinner nachahmen. Aber ein Punkt muss immer im Hinterkopf bleiben: Es muss simpel sein.»
Also ist es einfach, einen Lion zu gewinnen?
Girard: «Ich zitiere gerne meinen Chef, Maurice Saatchi: `It’s easier to complicate than simplify. Simple ideas enter the brain quicker and stay there longer. Brutal simplicity of thought is therefore a painful necessity.` Eine 18-köpfige internationale Jury muss also sofort verstehen, worum es geht. Man darf auch nicht vergessen, dass die Jury tausende von Cases sieht und jeder nur eine Minute geschenkt bekommt. Eine gute Idee ist universell und hat keine Nationalität. Ich versichere Ihnen, dass das Einfache schwieriger ist als das Komplizierte. Eine Idee zu formen, ohne viel zu sagen, aber visuell viel anzuregen, ist wichtiger, als einfach alles preiszugeben. Überraschen Sie! »
Worauf legen Sie als Jurymitglied bei einer Kampagne Ihr Auge? Was ist Ihnen am wichtigsten? Was ist ein «No-Go»?
Girard: «Die Idee ist die Essenz unseres Geschäftes. Ich erwarte, dass mich eine Idee überrascht und dass sie mich in ein unbekanntes Universum bringt. Ich möchte eifersüchtig werden, weil ich diese Idee nicht selber hatte.»