Mit einer sehr mutigen und direkten Rede «in einer Vertrauenskrise» wandte sich gestern Bundespräsident Kaspar Villiger an die «Top of the Media» in St. Moritz anlässlich der Jahreskonferenz des Zeitungsverleger-Verbandes Schweizer Presse. «Ich kann sehr direkt werden, denn ich muss ja in einem Jahr nicht mehr gewählt werden», erklärte Villiger schmunzelnd, als er den «Rudel-Journalismus» an Pranger stellte: Einer erfindet oder dramatisiert etwa, die anderen schreiben es unkontrolliert und unkritisch ab. Die Scheinrealität werde perpetuiert und in den Archiven zur historischen Realität. Das widerspreche der eigentlichen Funktion der Medien, die Villiger in vier Punkte umschrieb:
1. Die Informationsfunktions: Die Medien müssen jene Grundinformationen liefern, die es den Bürgern erlauben, Probleme in die grossen Zusammenhänge einzuordnen.
2. Die Wahrheitsfunktion: Nur wo über freie Medien Ideen und Meinungen miteinander in Konkurrenz treten können, habe die Wahrheit eine Chance.
3. Die Wächterfunktion: Kritische Medien sorgen dafür, dass die Lust der Mächtigen, vom Pfad der Tugend abzuweichen, entschieden gedämpft werde. Diese Wächteramt könnten aber nur die Medien selbst ausüben. «Ich wende mich dezidiert gegen jede irgendwie geforderte staatliche Aufsicht, und sei es nur eine staatliche Qualitätskontrolle oder Beschwerdeinstanz», betonte er wörtlich. Sogleich entschuldigte sich Villiger dann auch bei den «kleinen Verlägen», die vielleicht auf eine bessere Unterstützung des Bundes hofften, was ihm zustimmenden Zwischenapplaus einbrachte.
4. Die Forumsfunktion: Das Aufeinanderprallen kontroverser Meinungen, der Wettbewerb zwischen Meinungen führe zu neuen Ideen, neuen Lösungsansätzen.
Gemäss Villiger würden die Schweizer Medien diese vier Funktionen im allgemein gut erfüllen. «Unsere Journalisten leisten grösstenteils seriöse und gute Arbeit, und die Medien erfüllen ihre Funktion im demokratischen Staat gut», hielt er fest. Nur aus zwei Richtungen drohe Gefahr: Einmal sei da «die Versuchung, selber politische Macht auszuüben, etwa durch eine Kampagne einen Politiker wegpushen». Zum anderen sei da der wirtschaftliche Zwang zur Steigerung von Auflagen und Einschaltquoten zu nennen. Da könne es wohl zur Versuchung kommen, von der «korrekten Funktionserfüllung abzuweichen».
Seine frische und erfrischende Rede schloss der Bundespräsident mit einem Appell an die Vertrauenswürdigkeit - einem Punkt , in den letzten Monaten die Medien selbst immer wieder in Schlagzeilen gebracht hat: «Es liegt im Interesse von Politik, Wirtschaft und Medien, des Vertrauens würdig zu sein.« Denn das Vertrauen der Wähler, Kunden und Leser entscheide langfristig über die Akzeptanz unserer Produkte. Aber auch über die langfristige Stabilität von Gesellschaft und Wirtschaft. «Wir seien in einer Wirtschaftskrise. Machen wir uns also an die Arbeit, sie zu beheben!» - Was sonst noch lief in St. Moritz: Drei Tage jammern im 5-Sterne-Hotel
Samstag
14.09.2002