Content:

Dienstag
08.06.2021

Medien / Publizistik

Symbolträchtige Einstellung: «VTimes» will am «Tag der Unabhängigkeit» in Russland aufgeben…      (Bild: tabula, Georgien)

Symbolträchtige Einstellung: «VTimes» will am «Tag der Unabhängigkeit» in Russland aufgeben… (Bild: tabula, Georgien)

Der politische Druck in Moskau wächst. Als Reaktion darauf hat innerhalb einer Woche bereits das zweite unabhängige Medium in Russland seine Auflösung bekannt gegeben.

Anfang Juni hatte mit NEWSru.com eines der ältesten unabhängigen Nachrichtenportale Russlands seine Arbeit eingestellt, wie Reporter ohne Grenzen meldet.

Jetzt hat auch «VTimes» angekündigt, nur noch bis zum 12. Juni weiterzumachen. Das Datum wird in Russland als «Tag der Unabhängigkeit» gefeiert, was im Kommentar des Portals nicht ohne Ironie vermerkt wird.

Die Redaktion des Wirtschaftsportals erklärte den Schritt mit drohender Verfolgung durch die russische Justiz. Diese hatte das Medium im Mai zum «ausländischen Agenten» erklärt. Laut Gesetz müssen sich in Russland Medien als «ausländische Agenten» registrieren, wenn sie sich mit Geld aus dem Ausland finanzieren.

Die EU und die Organisation Reporter ohne Grenzen kritisieren das Vorgehen der russischen Justiz als «Angriff auf die Pressefreiheit».

Auch das kremlkritische Newsportal «Meduza», das aus dem Exil in Lettland betrieben wird, wurde vom Justizministerium kürzlich in dieses Register aufgenommen und kämpft seither ums Überleben. Eine solche Brandmarkung schrecke Werbekunden ab und dränge die Seite zu Unrecht in eine Ecke der politischen Opposition, beklagt die Redaktion. Zudem weigerten sich viele Beamte, Geschäftsleute und Analysten, einem «ausländischen Agenten» Kommentare zu geben.

Die nun ebenso stigmatisierte «VTimes» teil mit, man könne ohne die Werbegelder nicht mehr den angestrebten Qualitätsjournalismus leisten. Auch dieses Portal habe «kein Propagandainstrument» schaffen wollen, sondern ein unabhängiges Qualitätsmedium, «einen Platz für den freien Austausch konstruktiver Meinungen», mit positiven Beispielen, aber ohne die Augen vor Problemen und brisanten Themen zu verschliessen.

Das Portal wurde erst vor einem Jahr von früheren Mitgliedern der Moskauer Tageszeitung «Wedomosti» gegründet. Die Wirtschaftszeitung gehörte zu den wenigen verbliebenen Printmedien in Russland, die noch unabhängig berichteten. «Wedomosti» war 1999 als Gemeinschaftsprojekt der britischen Tageszeitung «Financial Times», des amerikanischen «Wall Street Journal» und des finnischen Medienkonzerns Sanoma entstanden.

Dann wurde 2020 das langjährige Flaggschiff unter den russischen Zeitungen von einem neuen Eigentümer übernommen, dem die Ex-Redaktoren Zensur vorwarfen. Der neue Chefredaktor Andrej Schmarow wurde mit dem staatlich kontrollierten Ölkonzern Rosneft in Verbindung gebracht. Schmarow hat mehrere kritische Artikel zu diesem Konzern umschreiben lassen. Der Aufsichtsrat von Rosneft wird vom früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder geführt. Neu ist auch die frühere österreichische Aussenministerin Karin Kneissl in den Rat eingezogen. Diese ist durch ihren Tanz mit Präsident Wladimir Putin bei ihrer Hochzeit 2018 politisch international aufgefallen und hat in der nach dem Ibiza-Skandal neu formierten Regierung von Sebastian Kurz als Ministerin über die Klinge springen müssen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rangiert Russland auf Platz 150 von insgesamt 180 untersuchten Staaten.