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Mittwoch
20.07.2011

Unter dem Titel «Wie Politiker die Medien instrumentalisieren» schrieb am 8. Juli der «Tages-Anzeiger» darüber, wie SP-Vizepräsidentin Jacqueline Fehr dem «Tagi» exklusiv ein Papier angeboten habe, das belegen sollte, dass die SP von allen Parteien jene sei, die am meisten für den Mittelstand tue. Sie verknüpfte das Angebot mit der Bedingung, ein Interview mit einem Vertreter der SP zu publizieren. Weil der «Tagi» das ablehnte, gab die SP dem «Sonntag» den Vorzug - und erhielt ihr Interview.

«Immer häufiger versuchen Parteien und andere Interessengruppen, den Medien die Regeln für die Publikation von Informationen zu diktieren. Storys werden dadurch nicht selten grösser, als sie es vom Inhalt her verdienen. Und im schlimmsten Fall unterbleiben kritische Fragen zu den transportierten Forderungen, Vorstössen und Papieren», folgerte «Tages-Anzeiger»-Autor Patrick Feuz in seinem Artikel.

Wie aber verhält sich der «Tages-Anzeiger» beziehungsweise der Verlag Tamedia, wenn es darum geht, möglichst viel Medienpräsenz in eigener Sache zu generieren? Nehmen wir als Beispiel die dreimalige Lancierung der neuen iPad-App des «Tagi». Unter dem Titel «`Tages-Anzeiger` lanciert neue iPad-App» wurde am 22. Juni eine erste Verlagsmitteilung verschickt, die von verschiedenen Medien aufgegriffen wurde. Der Starttermin wurde darin auf die Zeitspanne «im Laufe des Monats Juli» eingegrenzt.

In der Nacht vom 18. auf den 19. Juli erschien im Branchendienst «Persönlich» unter dem Titel «Die Leistung der `Tages-Anzeiger`-Redaktion kostet» ein Interview mit Andreas Dietrich, dem publizistischen Leiter der iPad-Redaktion, der darin exklusiv verkündete, dass der Start der neuen iPad-App soeben erfolgt sei.

Die anderen Medien wurden dagegen erst Stunden später um Punkt fünf Uhr früh mit der Verlagsmitteilung «`Tages-Anzeiger` ab sofort zweimal täglich auf dem iPad» informiert. Auch diese Werbebotschaft wurde von zahlreichen Medien aufgegriffen. Bleibt abzuwarten, welches Echo die «Tagi»-App-Story am 1. September auslösen wird, wenn die Applikation zum Bezahlangebot wird.

Auf die Frage, weshalb der «Tages-Anzeiger» auf einen dreifachen Start setzt, meinte Chefredaktor Markus Eisenhut am Dienstag gegenüber dem Klein Report: «Die App wird natürlich nur einmal lanciert. Gestartet sind wir mit einer klassischen Teaser-Kampagne. Nach einer - auch das ist nicht ungewöhnlich - Testphase bis Ende August folgt ab September das reguläre Angebot», gibt sich Eisenhut gleich selbst die Absolution.

Darauf angesprochen, ob das «wohlwollende und exklusive Interview» im Branchendienst «Persönlich» nicht dem kritischen Artikel «Wie Politiker die Medien instrumentalisieren» widerspreche, meinte Eisenhut knapp: «Meines Erachtens war das angesprochene Interview auf `Persönlich` genauso kritisch wie dieses Interview», faselte der Co-Chef des «Tages-Anzeigers». Mit kleinen «Deals» und zeitlich vorab orchestrierten Lancierungstexten kann man die Medienhäuser nicht gerade als Vorbilder bezeichnen. Vorbildlich heben sie nur den Mahnfinger - wenn es um andere Sünder geht.

Zu hoffen bleibt, dass nicht nur Politikeranliegen, sondern auch brancheninterne Meldungen wie die Lancierung einer App künftig von Medien in jenem Umfang abgehandelt werden, den sie vom Inhalt her verdienen.