Am Ende des Corona-Jahres 2020 zählte die Wemf AG für Werbemedienforschung noch 639 Zeitungstitel auf dem Schweizer Markt. 48 weniger als im Vorjahr.
Der Klein Report sprach mit Wemf-CEO Marco Bernasconi über Medienforschung im Ausnahmezustand, die Gewinner und Verlierer von Medien- und Corona-Krise sowie darüber, wie die Schweizer Medienlandschaft im europäischen Vergleich heute dasteht.
Ganz offen gefragt: Was hat das Coronavirus mit der Wemf gemacht?
Marco Bernasconi: «Die Wemf ist seit März 2020 mehrheitlich im Homeoffice. Dank der bereits vorhandenen Infrastruktur ist die Umstellung schnell und unkompliziert verlaufen. Die Räumlichkeiten der Wemf lassen es zu, dass auch einzelne Mitarbeitende und das Sekretariat in der Geschäftsstelle arbeiten können. Die erweiterte Geschäftsleitung tagt zwischendurch auch physisch – unter Einhaltung der Corona-Richtlinien des BAGs – auf der Geschäftsstelle.»
Und wie laufen die Geschäfte unter dem Corona-Regime?
Bernasconi: «Die täglichen Arbeitsprozesse haben nicht gelitten. So konnten wir unter anderem das Grossprojekt ‚Optimierung des MACH-Forschungssystems‘ und den Ausbau der Mediendatenbank (MedienDB) wie geplant umsetzen. Einzelne Studien wurden von Kunden zwar on hold gesetzt, die grossen Währungsstudien in der Leserschaftsforschung sowie die Beglaubigungen und Statistiken waren aber nicht betroffen.»
Wie war der Draht zu den Kunden in dem doch sehr ungewöhnlichen letzten Jahr?
Bernasconi: «Die Wemf ist ihren Kunden im 2020 finanziell entgegengekommen. Dank der vorhandenen Reserven konnte ein substanzieller Rabatt für die Bezüge im 2020 gewährt werden. Gegenwärtig schauen wir dem Jahr 2021 mit Zuversicht entgegen, auch wenn wir natürlich sehr stark vom Medien- und Werbemarkt abhängig sind.»
Die Pandemie hat den Inserateschwund nochmals beschleunigt und die Medienkrise verschärft, obwohl die Zeitungen gleichzeitig User-Rekorde auf den Online-Portalen feiern konnten. Wo sehen Sie die Gewinner und wo die Verlierer?
Bernasconi: «Die digitalen Angebote der Schweizer Presstitel haben durch hohe Zugriffszahlen sowie Zuwächse bei den Digitalabos profitiert. Auch Daten aus dem europäischen Ausland weisen darauf hin, dass für aktuelle Informationen in der Krise vor allem auf digitale respektive elektronische Kanäle zugegriffen wurde. Dagegen hatten einige gedruckte Titel im Lockdown eine ungünstige Ausgangslage. Nämlich alle, die ausserhalb des privaten Haushalts erworben und/oder gelesen werden: etwa Pressetitel, die auf dem Arbeitsweg, auf Reisen, in Bibliotheken, in Cafés und Restaurants, in Hotels, im Wartezimmer, beim Coiffeur, in der Kaffeeküche oder im Pausenraum normalerweise mit einem Exemplar mehrere Leser erreichen.»
Wie viele Pressetitel hat die Schweiz Ende 2020 noch?
Marco Bernasconi: «Ende 2020 konnte die Wemf -Auflagebeglaubigung 639 werberelevante Titel verzeichnen. Im Vergleich zu 2019 sind dies 48 Titel weniger.»
Wie beurteilen Sie diese Zahl im historischen Längsschnitt?
Bernasconi: «Bis 2018 war die Anzahl Pressetitel stabil bis leicht rückgängig. In den letzten beiden Jahren hat sich der Rückgang hingegen verstärkt. Die Typologie 1000 (Tages-, Regionale Wochen- und Sonntagspresse) hat hierbei am stärksten gelitten. Die Typologie 2000 (Publikums-, Finanz- und Wirtschaftspresse) hatte im letzten Jahr keine Titel-Verluste und die Typologien 3000/4000 (Spezial- und Fachpresse) verlor rund 7 Prozent der Titel.»
Wie beurteilen Sie die Zahl im Vergleich zu anderen westlichen Ländern? Wo steht die Schweiz?
Bernasconi: «Aufgrund unserer guten Kontakte im D-A-CH-Raum wissen wir, dass auch Deutschland und Österreich vergleichbare Entwicklungen zu verzeichnen haben. Pro Kopf hat die Schweiz nach wie vor vergleichsweise viele Zeitungstitel, ähnlich wie Norwegen. Die neuesten Zahlen der International Federation of Audit Bureaux of Certification (IFABC), bei der auch die Wemf Mitglied ist, liegen jedoch noch nicht vor.»
Was ist aus Sicht der WEMF an dieser rasanten Veränderung von Medienlandschaft und Werbemarkt besonders interessant? Wie verändert sich das Forschungsinteresse? Wo stossen Sie auf Herausforderungen?
Bernasconi: «Verlässliche, transparente und für alle Marktteilnehmer vergleichbare Nutzungsdaten sind in einem volatilen Umfeld wichtiger denn je. Gerade, wenn es um Mediaplanung geht. Dabei ist natürlich herausfordernd, dass aktuell niemand weiss, wie genau sich das New Normal der Mediennutzung entwickeln wird – aber das macht Medienforschung in nächster Zeit dafür besonders interessant. Der Wunsch wird bleiben, Zielgruppen genau zu verstehen sowie diese nicht nur zu erreichen, sondern auch in einem passenden und sicheren Umfeld zielgenau ansprechen zu können.»
Was ist aus der WEMF-Küche in nächster Zeit zu erwarten?
Bernasconi: «Mit der WEMF-Psychografie MACH Values, die im Herbst das erste Mal publiziert wird, können Zielgruppen und Werbeträger beispielsweise differenziert profiliert werden. Zudem erhebt die WEMF neu nicht nur Quantitäten (Reichweiten), sondern zusätzlich auch Kontakt- und Titelqualitäten im MACH-Forschungssystem. Eine erste Publikation auf Titelgruppenebene ist für Oktober 2021 geplant.»
Sie schreiben auf Ihrer Website, dass die Allmedia-Betrachtung immer wichtiger werde. Wie muss man sich das vorstellen, besonders nachdem der «Swiss Media Data Hub» (SMDH) gescheitert ist und sich die internationalen Online-Giganten weiterhin gegen einen Marktvergleich sperren? Bleibt die Allmedia-Währung ein schöner, aber leider unrealistischer Traum?
Marco Bernasconi: «Mit der MA Strategy ist der Traum – zumindest auf strategischer Planungsebene – seit 1998 realisiert. In den letzten Jahren konnte die WEMF gemeinsam mit weiteren Marktteilnehmern diese Intermediastudie kontinuierlich ausbauen und zusätzliche Kanäle wie zum Beispiel Direct Mail oder Verkehrsmittel ausweisen. Kombinierte Währungsstudien gibt es für Print & Digital mit der Total Audience, SPR+ (OOH-Forschung) berücksichtigt bereits nicht nur analoge Flächen, sondern auch Digitales OOH, und Mediapulse arbeitet an der Kombination TV & Digital für Video.»
Nach dem SMDH-Aus hatten die Verwaltungsräte von Net-Metrix, WEMF und Mediapulse entschieden, die Online-Forschung ab 2021 in die Mediapulse einzugliedern und damit die bisherige Forschung der Net-Metrix AG abzulösen. Wie werden sich die neue Online-Forschung und die Presse-Forschung der WEMF abstimmen?
Bernasconi: «Wir stehen mit Mediapulse in regelmässigem Austausch. Wir prüfen auch die Fortsetzung der aktuellen WEMF-Studie Total Audience, die bisher die Online-Informationen von NET-Metrix erhielt. Die neue Online-Forschung ist noch in der Umsetzung. Deshalb kann erst später – wenn alle Fakten bekannt sind – über die Schnittstellen zu anderen Forschungsgefässen und mögliche Synergienutzung entschieden werden.»