Die Medienmarke «Vice» wollte einst zum «relevantesten Jugendmedium der Schweiz» werden: Nun ist von den ambitionierten Wachstumsplänen nicht mehr viel übrig. Die Redaktion in Zürich wurde auf einen absoluten Minimalbestand heruntergeschrumpft.
Nur noch eine einzige Journalistin schreibt aus der Schweiz für Vice.com, wie dem Impressum auf der Website zu entnehmen ist. Zum Vergleich: Im September 2018 waren noch sieben Personen «redaktionell beschäftigt», hiess es damals gegenüber dem Klein Report - davon arbeiteten vier Vollzeit für die Redaktion.
Seither ist der schleichende Abbau, der nach aussen hin stets bestritten wurde, weiter fortgeschritten. Dass neben der Redaktion in Wien speziell auch der Zürcher «Vice»-Ableger Federn lassen musste, lässt sich spätestens seit diesem Jahr nicht mehr dementieren.
Symptomatisch dafür, wie der personelle Aderlass immer wieder schöngeredet wurde, war der Abgang von Sebastian Sele, dem letzten Chefredaktor von «Vice» in der Schweiz. Aus seiner kommunizierten «Auszeit» im Herbst 2018 ist Sele in Tat und Wahrheit nämlich nie zurückgekehrt.
Die vollmundigen Ankündigungen, in der Schweiz relevanten Journalismus zu liefern, haben sich als heisse Luft erwiesen. Stattdessen wurde die Redaktion komplett transformiert und in eine neue DACH-Struktur überführt.
Die Ableger in Zürich und Wien sind höchstens noch ein verkümmertes Anhängsel, während das Gros der deutschsprachigen Geschichten in Berlin geschrieben wird, wo Vice.com derzeit noch elf Journalistinnen und Journalisten beschäftigt.
Bei «Vice» ist man trotz dieser Entwicklungen weiterhin bemüht, die Beschneidung der redaktionellen Leistungen in der Schweiz schönzureden. «Als internationales Unternehmen denkt ´Vice` weniger innerhalb nationaler Grenzen als vielmehr in den Möglichkeiten, die eine gemeinsame Sprachregion bietet», erklärte Kristof Albrink, Senior Corporate Communications Manager DACH, dem Klein Report.
Von einem Grossabbau will man partout nichts wissen. Daran ändert selbst der Umstand nichts, dass unterdessen auch die verschiedenen werbenahen Sonderkanäle wie der Musik-Ableger «Noisey» oder der Food-Channel «Munchies» fast unbemerkt wieder eingestellt wurden – oder wie es bei «Vice» heisst: «Alle Themen haben wird gebündelt, damit ihr sie schnell und einfach auf einer Seite finden könnt. Wir werden weiterhin über all diese Themen berichten, nur eben auf der gemeinsamen Seite Vice.com.»
Die redaktionellen Ziele, die «Vice» in der Schweiz noch verfolgt, sind eher rudimentär. «Wir konzentrieren uns auf unsere Kernmarke vice.com im deutschsprachigen Raum. Wie behandeln immer noch die gleiche Themenvielfalt, die ´Vice` für sein Publikum so einzigartig und unverwechselbar macht», sagte Kristof Albrink.
Nur die Frage, wie lange es bei dieser internationalen Ausrichtung die verbliebene Ein-Frau-Redaktion in Zürich noch braucht, blieb unbeantwortet.