Die Journalistenschule MAZ hat den ehemaligen «Weltwoche»-Journalisten Urs Paul Engeler als Gastredner eingeladen. Er referiert in Luzern am dritten Recherchetag des MAZ am 26. Januar 2015 zur «Lage des Recherchejournalismus». Der Klein Repot sprach mit ihm darüber, was für ihn gute Recherche ausmacht, was er von seinen jungen Kolleginnen und Kollegen hält und über den Vorjahresredner am Recherchetag Hans Leyendecker.
Wie kommen Sie zu der Ehre, die diesjährige Gastrede zur Lage des Recherchejournalismus halten zu dürfen?
Urs Paul Engeler: «Das habe ich noch nicht recherchiert. Vielleicht haben die Organisatoren keinen anderen gefunden, der Zeit hat.»
Was erwarten Sie persönlich vom Recherchetag?
Engeler: «Ich bin nicht beteiligt an den Arbeiten zu Konzept und Zielsetzung. Ich selbst werde in meinen Ausführungen den Akzent auf die Motivation legen und mit einigen Beispielen aus meiner Erfahrung zeigen, dass es zur erfolgreichen Recherche keine Monsterteams mit Monsterbudgets braucht, sondern nur den Willen und das Geschick des einzelnen Journalisten. So hoffe ich schon, dass diese Botschaft für die eine oder den anderen, die zuhören, ein Ansporn ist.»
Sie werden viele junge Journalistinnen und Journalisten treffen. Was wünschen Sie sich von der jüngeren Generation Ihrer Berufskollegen?
Engeler: «Erstens: Etwas mehr Unabhängigkeit, nicht nur gegenüber Behörden und andern Gestaltern der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch gegenüber einem lauten Gros der Berufskollegen. Zweitens: Etwas mehr Freude am permanenten Widerspruch. Drittens: Weniger häufige Jagden nach dem raschen Scoop, sondern die Entwicklung eines längeren Atems und eines Willens zur harten Arbeit; erst dies bringt dauerhaften Erfolg. Und viertens: Keine Wechsel auf die besser zahlenden `Gegenseiten`, sei es in die PR-Branche oder in die amtlichen Beeinflussungsdienste.»
Werden Sie selbst an den Workshops teilnehmen? Welche interessieren Sie ganz besonders?
Engeler: «Wenn es mein Programm erlaubt, werde ich mich bei Nicht-Journalisten (Staatsanwalt, Bundesarchivarin etc.) weiterbilden.»
Letztes Jahr hielt Hans Leyendecker die Eröffnungsrede. Er kritisierte bei dieser Gelegenheit das Ego-Problem vieler Journalisten, die sich ständig selbst versichern müssen, dass es sie noch gibt. Was halten Sie von dieser Position?
Engeler: «Ich stelle eher fest, dass die Journalisten ein zu geringes Selbstwertgefühl entwickeln. Sie fühlen sich einsam und schwach und neigen dazu, sich irgendwo anzulehnen und wohlfeile Anerkennung abzuholen, sei es bei einer Partei, bei einer Person der Macht oder bei Kollegen und anderen Medien.»
Und was macht für Sie einen guten Journalisten aus?
Engeler: «Der gute Journalist handelt als verlässlicher Vertreter der Interessen seiner Leser und Zuhörer, von denen er schliesslich das Mandat für seine Aktionen hat. Er hat konsequent die Wünsche seines eigenen Publikums nach News, Aufklärung, Analyse und Wertung zu erfüllen, sonst nichts. Wenn er sich dieser Aufgabe stets bewusst ist, wird er alle Attacken (von juristischen Verfahren über Neidgemunkel bis zum medialen Shitstorm) gestärkt überstehen - und gelegentliches Lob sicher relativieren. Und wenn alle Journalisten unbeirrt ihre Milieus bedienen, wird die Medienlandschaft, hoffentlich, wieder so bunt und kontrovers wie die öffentlichen Meinungen.»
Leyendecker kritisierte auch den Umgang der Medien mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff. Dieser sei von einer erbarmungslosen Meute von Journalisten verfolgt worden. Sehen Sie in der Schweiz ähnliche Fälle, wo der Anstand der Journalisten Ihrer Meinung nach versagt hat?
Engeler: «Ich glaube nicht, dass dies eine Frage des `Anstandes` ist. Höchste Würdenträger müssen sich mit den härtesten Massstäben messen und sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Die Wulff-Hatz ist die Folge eines selbstbezogenen Medienbetriebs, der nach dem Prinzip `Wir sind auch dabei und haben noch viel mehr!!!` funktioniert und so ins Unkontrollierte wuchert. Die Journalisten, die nur noch einander übertrumpfen wollen, verlieren den Kontakt zur Realität. Einen ähnlich krassen Fall sehe ich in der Schweiz nicht, auch wenn viele Revisionisten Affären wie den Fall der ersten Bundesrätin Elisabeth Kopp heute so umdeuten möchten. Allerdings sollten folgenreiche Kampagnen wie die gegen die Bank Swissfirst oder gegen Alt-Botschafter Thomas Borer einmal aus der Distanz und in Ruhe analysiert werden.»