Der Wechsel auf dem Chefredaktor-Sessel der «Jungfrau-Zeitung» ist verknüpft mit einer strategischen Neuausrichtung und Reorganisation des Blattes für das Berner Oberland. Die Gossweiler Media AG hat ihre Expansionspläne in Zürich zurückgestellt und will sich nun mit ganzer Kraft auf den Mikrokosmos Jungfrau konzentrieren, wie es in einer Mitteilung vom Freitag heisst. Verleger Urs Gossweiler hatte sein Zeitungsmodell aus dem Berner Oberland - radikaler Fokus auf lokale News und multimediale Verbreitung - in die weite Medienwelt verbreiten wollen und ist damit gescheitert.
Zur Reorganisation gehört neben dem Wechsel in der Chefredaktion auch die Verkürzung der Wege zwischen den einzelnen Abteilungen. Künftig wird Interlaken das operative Zentrum der Gossweiler Media AG sein: Redaktion, Verlag, Marketing, Verkauf, Produktion, Entwicklung und Design werden in den bereits bestehenden Büroräumlichkeiten an der Aarmühlestrasse konzentriert. Bei der Fokussierung geht es vordringlich um die Bündelung der Kräfte zur Verbesserung des Produkts. Der Standort Brienz wird aufgegeben. Weiter erhalten bleiben die Büros in Meiringen und Grindelwald.
Die durch die Expansion angefallenen Kosten werden zurückgenommen: Es kommt zu einer Umstrukturierung und zu Einsparungen, von denen all jene Bereiche betroffen sind, die nicht direkt mit der «Jungfrau Zeitung» und ihrer Weiterentwicklung zusammenhängen. Das gilt für Personalfragen ebenso wie für Marketingmassnahmen. So wird unter anderem nach elf Austragungen das Giessbach Meeting eingestellt, und auch ihre Standorte in Zürich hat die Gossweiler Media AG bereits aufgegeben.
Hinzu kam, dass der Verwaltungsrat der ONZ Obwalden und Nidwalden Zeitung AG entschied, den Betrieb der zur Gossweiler Media gehörenden ONZ auf den 1. März 2012 einzustellen. Im Gegensatz zur «Jungfrau Zeitung» war die ONZ im Anzeigenmarkt zu wenig erfolgreich, als dass sie die gesteckten Ertragsziele hätte erreichen können.
Der Verzicht auf die Expansion hat auch zur Kündigung von fünf Personen, welche speziell dafür angestellt worden sind, geführt, wie Urs Gossweiler gegenüber dem Klein Report ausführte. «Es ist definitiv schöner, Leute einzustellen, als sie zu entlassen», meint Gossweiler, der ja bereits dem Team der ONZ kündigen musste, aus Erfahrung. «Insbesondere dann, wenn es ausgewiesene Medienspezialisten sind. Hier liegt jedoch auch ein kleiner Trost: Ich mache mir um die berufliche Zukunft der Leute keine Sorgen. Sie werden mir im Berufsalltag ganz einfach fehlen.»
«Trotz grossem Interesse an einer Duplizierung des Mikrozeitungskonzepts, nach dem die `Jungfrau Zeitung` als Original erscheint, führten die zahlreichen Investorengespräche der Gossweiler Media AG in den letzten Monaten nicht zum gewünschten Expansionserfolg», heisst es in der Mitteilung. Rückblickend könne festgestellt werden, dass die Investorengespräche in der Schweiz und in Deutschland im Einzelfall sehr vielversprechend verlaufen seien, dass sich die Gesprächspartner vom Konzept begeistert zeigten und dessen wirtschaftliches Potenzial nie in Abrede stellten. «Allerdings konnte nie eine Konstellation erreicht werden, in welcher die Gesprächspartner dazu bereit gewesen wären, die gesamten Investitionen einer ausgedehnten Inbetriebnahme von neuen Mikrozeitungen zu leisten.»
Aus Sicht der Gossweiler Media AG verliefen die Expansionsverhandlungen mit einem deutschen Grosskonzern am vielversprechendsten. Dabei sei es um den Erwerb einer Masterlizenz für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gegangen. Ebenfalls kurz vor Vertragsunterzeichnung seien Verhandlungen mit potenziellen Partnern im Grossraum Zürich/Schaffhausen gestanden.
Für Urs Gossweiler war der Versuch einer Expansion vom beschaulichen Berner Oberland in mediale Hotspots wie Zürich oder Deutschland auch im Rückblick richtig. «Aber es wäre ein Fehler gewesen, weiter daran festzuhalten, weil die Kosten der Expansion die Erträge des Unternehmens überstiegen haben», so Gossweiler am Freitag gegenüber dem Klein Report. «Die gescheiterte Expansion des Modells Mikrozeitung ist definitiv eine Niederlage, aus der wir viel lernen können.»