Hinter vorgehaltener Hand wird Thun als die «Stadt der Alten» abgestempelt. Die beiden jungen Filmemacher Remo Rickenbacher und David Oesch setzten mit ihrem bissigen Kurzfilm «Stadt der Falten» noch eins oben drauf. Im Gespräch mit dem Klein Report erklären sie die Hassliebe zu ihrer Heimatstadt.
Das Überalterungsthema ist in Thun schon seit Längerem im Stadtgespräch. Auch das «Clubsterben», das mit dem Umbau des Selve-Areals begonnen hat, wird immer wieder diskutiert. In dem ehemaligen Industrieareal in Bahnhofsnähe hatte sich eine bunte Ausgangsszene eingenistet, in jüngster Zeit geht der Wandel weiter in Richtung Eigentumswohnungen. «Man wurde automatisch ungehaltener, wenn die noch bestehenden Clubs mit Lärmklagen eingedeckt wurden», verrät Rickenbacher dem Klein Report seinen Unmut.
Auf den Eindruck, dass «die Alten» im Film zu schlecht wegkommen, relativiert Remo Rickenbacher: «Man hat das Gefühl, dass mehr alte Menschen gleichbedeutend sind mit einem langsameren Alltagsleben, Vermehrung von Lärmklagen und sowieso zu einer toten Stadt führen. Im Film haben wir uns gefragt, ob dem wirklich so ist. Oder ob die Alten nicht sogar aktiver sind und von einer Generation verurteilt werden, die ihrerseits zwar in den sozialen Medien grosse Töne spuckt, aber an der aktiven Umgestaltung der Stadt offline keinen Anteil nimmt.»
Zwar gesteht Rickenbacher ein, dass die beiden Filmemacher «keine konkreten Lösungsvorschläge» anböten und sich selbst auch nicht von der Kritik ausnähmen. «Politische Ziele verfolgen wir keine», sagt er so auch. Doch gleichzeitig geht es dem Filmerduo darum, «den Dialog zwischen den Generationen» zu fördern: «Wie können wir in Zukunft unsere Stadt so gestalten, dass sich die zusehends ältere Bevölkerung darin wohlfühlt, aber auch die Jungen gerne darin leben und nicht immer nach Bern oder Zürich abwandern müssen?», schlagen die Filmemacher einen deutlich versöhnlicheren Ton an als im Film.
Die Reaktionen seit der Premiere am 12. Juni in der Thuner Kulturbar Mundwerk und der Lancierung in den Sozialen Medien sind laut Rickenbacher «durchaus positiv». Sie hätten nicht mit einer «so grossen Resonanz» gerechnet. Der am Montag auf Youtube veröffentlichte Film erzielte bis am Mittwoch über 8 000 Aufrufe - keine schlechte Quote bei einer Stadtbevölkerung von 42 000 Einwohnern.
«Und wir hätten erwartet, dass sich einige Leute daran stören würden, auch weil der Text im Film ja äusserst bissig ist», so Rickenbacher weiter. Stattdessen stiessen sie «auf viel Verständnis, Diskussionsbereitschaft und - spannenderweise - auch auf offene Ohren bei der Stadt. Thun hat seit Kurzem ein Altersleitbild und die Verantwortlichen für die Umsetzung haben Interessen, sich mit uns an einen runden Tisch zu setzen.»
«David und ich hassen und lieben unsere Heimatstadt gleichermassen», bringt Rickenbacher zum Schluss ihr gespaltenes Verhältnis zu Thun auf den Punkt. «Während der Filmtext sich sehr kritisch über die Stadt auslässt, zeigen die Bilder jene Personen, die alle Leute aus der Region kennen, und die unsere Stadt repräsentieren und prägen. Der Text und die Bilder stehen so gewollt im Konflikt zueinander und zeigen unsere gegensätzlichen Gefühle zur Stadt.»