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Sonntag
20.11.2016

Vermarktung

Tamedia-Kunden im Club Aura

Tamedia-Kunden im Club Aura

Der Zürcher Medienkonzern Tamedia zieht alle seine Medienprodukte in der Vermarktung zusammen. Soweit nichts Neues. Über crossmediale Vermarktung wird seit Jahren gesprochen - aber keiner geht hin! Soweit nichts Neues. Die Werbepreise sinken und sinken und sinken. Soweit nichts Neues.

Eine Analyse, eine Berichterstattung über einen Vermarktungsevent: der Klein Report zum letzten Aufbäumen in der von Gier getriebenen Vermarktung.

Unter dem überhöhten Titel «Feierlicher Start von Tamedia Advertising» beschreibt Tamedia den Launchanlass der eigenen «neuen Werbemarktorganisation» vom Donnerstagabend. Im Zürcher Club Aura hätten 300 Leute «gefeiert», heisst es da, davon waren locker 50 von Tamedia selber. Der Klein Report war mit zwei Journalisten vor Ort. Also feiern ist etwas anderes. Das können sie dem Team des Klein Reports (einfach mal) glauben.

Es war ein gesittetes, gepflegtes, leicht gelangweiltes Rumstehen beim Apéro ab 17 Uhr, bis erst nach einer Dreiviertelstunde eine aparte junge Frau den Launchanlass «launchte» und zu Beginn Verleger Pietro Supino, dann CEO Christoph Tonini und Marcel Kohler, Leiter Werbung & Pendlermedien, sprachen.

Man habe den alten Claim «content for people bereits vor Jahren schweigend begraben», so Pietro Supino, der sichtlich stolz hinzufügte: «Aber der rote Doppelpunkt, der hat's mir angetan, den habe ich sozusagen unter Denkmalschutz gestellt.»

In dem Anfang November vorgestellten neuen Markenauftritt des Medienkonzerns wurde das T zur alleinigen Bildmarke bestimmt. Das T aus dem Logo der Tageszeitung «Tages-Anzeiger», dem Flaggschiff des Unternehmens.

Auf den vier hochangelegten Leinwänden flimmerte über den Kunden ein hochtheatralischer Imagefilm zur neuen Markenwelt, in dem Fackelträger eine olympische Flamme vom Foyer des Tamedia-Gebäudes bis nach oben in den Tamedia-Olymp trugen. Marcel Kohler war der erste Fackelträger, irgendwo in der Mitteletage suggerierte Christoph Tonini beim Aufstieg auch etwas Mitarbeiterverbundenheit.

Der Aufwertungsgewinn von 334 Millionen Franken und der 6-Millionen-Franken schwere Bonus für den CEO aus dem Abschluss 2015 waren interessanterweise immer noch Gesprächsthema unter den Gästen. Tonini gab im Klein Report damals folgende Antwort auf die Frage, ob sechs Millionen Franken nicht etwas… Es folgte eine absichtliche Kunstpause des Klein Reports… Tonini gab strahlend Antwort: «unverschämt?» seien.

In seiner Rede erläuterte Tonini, was Feuer und Fackel in dem Imagefilm bedeuten sollen. «Leidenschaft fürs Metier» werde über das Feuer symbolisiert und für «Orientierung bieten», so Tonini, stehe die Fackel.

«Alle Angebote aus einer Hand», das sei der Wunsch der Kunden. «Neu bieten wir unseren Kundinnen und Kunden das vereinfachte Buchen von medien- und plattformübergreifenden Kampagnen sowie weitere attraktive Angebote aus einer Hand», wird Marcel Kohler zitiert. Das sei aber längst nicht alles: «Wir planen zusätzliche neue digitale und crossmediale Produkte.»

Kohler, ein Verkaufsprofi, muss es nun richten. «Kundenorientierung war bisher keine Stärke der Verlagsbranche», dehnte er ein explizites Tamedia-Problem gleich auf die ganze Branche aus, aber vielleicht auch mit kleinem Wink nach innen in den Konzern. Gleiches tat auch Tonini, der die Branche in Sippenhaft nehmen wollte.

Zum Mitschreiben: Das ist natürlich falsch. Wenn der Tamedia-Konzern sich zu einer Art Finanzinvestment-Haus entwickelt, ist dies das eine, das andere ist eine für die Grösse der Schweiz doch noch ganz ordentlich funktionierende Printlandschaft.

Nur: Es hat zu viele Printtitel im Markt. Denn: Jeder möchte gerne Verleger sein. Jeder möchte wichtig sein und als solcher auch wahrgenommen werden. Wahrgenommen werden als ein wichtiger Mensch in der Gesellschaft. Und das sollen dann die Journalisten richten.

Zurück in den Zürcher Club Aura: Da luden allen Ernstes die netten Kommunikationsmenschen der Tamedia verschiedene Journalisten schon fast auf den Knien ein, an diesem reinen Kunden- und Vermarktungsanlass teilzunehmen. Hintergedanke war das Füllen einer Runde für ein Medienroundtable mit CEO Christoph Tonini.

Ein Gespräch mit einem CEO, der weder ein Verkaufsprofi mit speziellem digitalen Vermarktungswissen ist, noch im Publizistischen die Fahne, nein, die Fackel wirklich schwingt… Ein Gespräch? Da hätte Tamedia Marcel Kohler hinsetzen müssen. Der aber machte seinen Job und sprach mit Leuten aus den Mediaagenturen und von Kundenseite. Mit Leuten also, die die Werbegelder am Ende auch verteilen. Und von den Werbefränkli waren schätzungsweise 200 bis 400 Millionen Franken im Raum.

«Mit Tamedia Audience lanciert Tamedia als erstes Schweizer Medienhaus ein Targeting-Produkt basierend auf soziodemografischen Daten.» Der Klein Report: Das ist natürlich nicht korrekt. Technisch gibt es Dutzende Targeting-Anbieter, die soziodemografische Daten anpreisen. Freie Wahl.

Tamedia schreibt weiter, «damit können Werbekampagnen neu gezielt auch nach Alter und Geschlecht ausgeliefert werden. Dies ermöglicht ein zielgruppengenaues Online-Marketing ohne Streuverlust». Siehe oben, freie Wahl seit Jahren.

Vielleicht eine gedankliche Anmerkung des Klein Reports: Digital ist www - World Wide Web. Digitaldenken ist global.

Mit der zugrunde liegenden IT liegt die Tamedia seit Jahren etwas im Clinch, wie die meisten Anbieter. Das bisherige Premium Publisher Network PPN, das hauseigene Online-Werbenetzwerk, wird in Tamedia Network umbenannt. Es soll die umfeldbasierten, nach Verhaltensmustern oder soziodemographisch ausgerichteten Targeting-Produkte aussteuern. Mit PPN ist Tamedia bereits abgestürzt und hat schon einige Hunderttausend Franken in den Sand gesetzt.

Hier eine Anmerkung für Profis: Nach dem «K2 Media Transparency Report» aus den USA haben einige technische Anbieter etwas Kreide gefressen. Picken wir hier nur AppNexus heraus, der selber bereits von 50 bis 60 Prozent Roboter-Traffic spricht.

Und zu guter Letzt versucht Tamedia die Kunden mit einem zehnköpfigen Content-Marketingteam direkt in den redaktionellen Teil einzupflanzen. Das Team erstelle «inhaltsgetriebene Werbeformen». «Im Fokus stehen crossmediale Contentprojekte wie Native Advertising oder Branded Content, die auf den Tamedia Advertising Kanälen optimal ausgespielt werden können.»

Der Gedanke der Gewaltenteilung spielt im kommerziellen Bereich seit langem nicht mehr. Das kann man bedauern oder nicht. Tamedia hat aber in ihrer Nicht-Kundenorientiertheit am Ende auch hier Mühe, den Fuss in die Türe zu bekommen. «20 Minuten», eigentlich oft ein gut gemachtes Gratisblatt, wird auch im Online-Bereich wie bereits im Print zu einer «Mehrbesseren-Ummantelung für Wurfsendungen» gemacht.