Zäh wie Leder hält sich der Gendergap in der Berichterstattung der Schweizer Medien, wie eine aktuelle Studie des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Uni Zürich en Detail aufzeigt.
Der Klein Report sprach mit Studienleiterin Lisa Schwaiger über Hintergründe und Gegenmassnahmen zur real existierenden Geschlechterungerechtigkeit in den Medien.
Sie haben die Studie zur Repräsentation von Frauen in den Schweizer Medien geleitet. Der Befund ist ernüchternd: Seit 2015 stagniert die Zahl der Beiträge, in denen Frauen erwähnt werden, bei nur 23 Prozent. Womit haben Sie gerechnet?
Lisa Schwaiger: «Mich persönlich hat es nicht besonders überrascht, dass der Gendergap in Schweizer Medien so stark ausgeprägt ist, da auch auf Gesellschaftsebene starke Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern noch immer existieren – zum Beispiel in den Bereichen Wirtschaft oder Politik. Erstaunlich ist jedoch aus meiner Sicht der Befund, dass Frauen über sämtliche Medientypen hinweg und in allen drei Sprachregionen in einem vergleichbaren Mass unterrepräsentiert sind. Zwischen den Medientiteln gibt es zwar leichte Unterschiede, und die Frauenanteile bewegen sich zwischen 19 und 29 Prozent, allerdings gibt es auch für jene Medien, die besser abschneiden, noch Luft nach oben.»
Die Medienhäuser sind eigentlich gendersensibel, zumindest geben sie sich so. Unter anderem haben Ringier und SRF entsprechende Initiativen. Weshalb gehts trotzdem nicht vorwärts?
Schwaiger: «Es ist sehr gut, dass es Initiativen wie Equal Voice und Chance 50:50 gibt. Sie zeigen, dass das Problem ungleicher Geschlechterrepräsentation in Schweizer Medien wahr- und ernst genommen wird. Die Initiativen, die 2019 gestartet wurden, sind ein guter Anfang, jetzt geht es aber um die Umsetzung. Und dafür braucht es Ressourcen. Wenn Journalisten und Journalistinnen mehr Zeit für Recherchen haben, können sie bestehende Routinen brechen, indem sie beispielsweise gezielt Akteurinnen in ihre Berichterstattung einbeziehen. In Gesellschaftsbereichen, in denen Frauen tatsächlich unterrepräsentiert sind, kann das mitunter zeitintensiver sein. Es würde aber gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag für die Sichtbarkeit von Frauen in unserer Gesellschaft liefern.»
Was muss sich in den Chefetagen der Verlagshäuser und in den Redaktionsleitungen ändern, damit die Frauen mehr in den Blick kommen?
Schwaiger: «Wir haben in unseren Analysen auf die Inhalte der Berichte fokussiert und Strukturen der Verlagshäuser oder zum Beispiel das Geschlecht der Journalisten respektive Journalistinnen nicht miterhoben. Allerdings ist davon auszugehen, dass auch unternehmerische Strukturen die journalistischen Routinen mitprägen. Ein höherer Frauenanteil in Chefetagen oder ein grösserer Anteil an Journalistinnen in Hard-News-Themenbereichen wie Politik und Wirtschaft würde die Sensibilität gleichberechtigter Medienberichterstattung womöglich erhöhen.»
Ist es aus Ihrer Sicht auch an der Politik, etwas gegen die real existierende Geschlechterungerechtigkeit zu tun?
Schwaiger: «Ich bin davon überzeugt, dass Akteure und Akteurinnen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen etwas zu diesem wichtigen Thema beitragen können und müssen. Frauen sind zum Beispiel in Führungspositionen stark unterrepräsentiert und häufiger in Teilzeit beschäftigt. Im Zuge der Corona-Pandemie waren und sind es häufig wieder Frauen, die für familiäre Verpflichtungen in der Verantwortung stehen. Auch was den Lohn angeht, gibt es starke Ungleichheiten. Aus meiner Sicht müsste die Politik an diesen Punkten ansetzen und zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern und für Lohngerechtigkeit sorgen.»
Oft wird gesagt, dass die Unterrepräsentation der Frauen in den Medien nur ein Abbild ihrer Unterrepräsentation in besonders sichtbaren Rollen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sei. Stimmt das?
Lisa Schwaiger: «Zu einem gewissen Teil stimmt das. Medien haben die Aufgabe, ein «Spiegel der Gesellschaft» zu sein. Eine gleichberechtigte Berichterstattung in Bereichen, die auf Gesellschaftsebene von Männern dominiert sind, ist demnach schwieriger. Allerdings zeigt unsere Studie auch, dass zum Beispiel bei der Erwähnung von Experten und Expertinnen der Frauenanteil nur bei 23 Prozent liegt. In vielen Themenbereichen gäbe es aber weitaus mehr Expertinnen, als tatsächlich herangezogen werden.»
Der Frauenanteil in den Meldungen der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) ist deutlich tiefer als der Anteil in Artikeln, die die Journalisten und Journalistinnen selber recherchieren. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?
Schwaiger: «Wir gehen davon aus, dass der Gendergap in der redaktionellen Berichterstattung, also wenn Journalisten und Journalistinnen Beiträge selber schreiben, weniger stark ausgeprägt ist, da hier mehr Ressourcen eingesetzt werden. Wenn mehr Zeit zur Verfügung steht, können beispielsweise auch weniger bekannte Expertinnen recherchiert werden. Im Unterschied zu Agenturmeldungen können die Journalisten und Journalistinnen zudem selbst entscheiden, welche Akteure oder Akteurinnen zu Wort kommen.»
Was waren in Ihrer Studie jene Befunde, die Sie persönlich am meisten überrascht haben?
Schwaiger: «Am meisten überrascht hat mich, dass im Jahr 2019 der Gendergap, insgesamt betrachtet, etwas weniger ausgeprägt war als in den restlichen Jahren. Im Jahr 2019 war der Frauenstreiktag ein wichtiges Ereignis, das medial und auf Gesellschaftsebene für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Das Resultat zeigt, dass sich Engagement auszahlt. Zudem überraschend ist aus meiner Sicht der eindeutige Befund, dass Frauen in redaktionellen Beiträgen doppelt so häufig erwähnt werden im Vergleich zu Agenturmeldungen.»