Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) hat eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingesteckt. Das Schweizer Fernsehen hätte die Ausstrahlung eines TV-Spots des Vereins gegen Tierfabriken (VgT) nicht verweigern dürfen.
Das Pikante an der Geschichte: In dem Werbespot kritisierten die Tierschützer den Sender indirekt mit dem Teilsatz «Was das Schweizer Fernsehen totschweigt». Zu dem eingeblendeten Teilsatz wären Logo und Webadresse des Vereins gezeigt worden, hinter dem der äusserst umstrittene Tierschützer Erwin Kessler steht.
In einer ersten Version des sieben Sekunden kurzen Spots war der Teilsatz «Was andere Medien totschweigen» zu sehen gewesen. Dieser Spot wurde im Dezember 2011 laut EGMR 18 Mal ausgestrahlt.
Erst gegen die auf das Schweizer Fernsehen zugemünzte Version sperrte sich der Sender und seine damalige Vermarkterin Publisuisse. Sie begründeten die verweigerte Ausstrahlung damit, dass der Spot den kommerziellen Interessen und dem Image im Sinne der Allgemeinen Geschäftsbedingungen schade.
Im November 2013 kam das Bundesgericht dann zu dem Schluss, dass die Weigerung gegen die Verfassung verstossen hat. Damit sei die Informationsfreiheit der Tierschützer eingeschränkt worden. Dass die Geschäftsbedingungen einen Ausschluss für image- oder geschäftsschädigende Spots vorsehe, sei unwichtig.
SRG und Publisuisse zogen den Entscheid des Bundesgerichts an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nach Strassburg weiter. Unter Berufung auf Artikel 10 der Menschenrechtskonvention, also der Meinungsfreiheit, beschwerten sie sich darüber, dass sie verpflichtet gewesen seien, einen Werbespot zu senden, der ihrer Ansicht nach ihrem Image schadete.
Dieses Argument zog für den Strassburger Gerichtshof jedoch nicht. Die der SRG auferlegte Verpflichtung zur Ausstrahlung des umstrittenen Werbespots habe «keinen unverhältnismässigen Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäusserung» dargestellt, ja, eine solche Pflicht sei «in einer demokratischen Gesellschaft notwendig», steht in dem am Dienstag publizierten Gerichtsurteil.
Denn bei dem Werbespot der Tierschützer habe es sich nicht um ein kommerzielles Werbevideo zur Animierung der Kauflust gehandelt. Vielmehr sei der Spot Teil einer Kampagne gewesen, mit der der Verein seine Website und seine Infoangebote zum Tierschutz einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen wollte. Und dies ist für den EGMR «von allgemeinem Interesse».
Deshalb hätte das Schweizer Fernsehen die bittere Pille schlucken und den Spot senden müssen. Oder im O-Ton des Gerichtshofs: Angesichts ihrer «besonderen Stellung in der Schweizer Medienlandschaft» sei die SRG verpflichtet gewesen, «kritische Meinungen zu akzeptieren und ihnen auf seinen Rundfunkkanälen Platz zu bieten, auch wenn es sich um Informationen oder Ideen handelte, die beleidigen, schockieren oder verstören».
Darüber hinaus sei den Zuschauern sowieso klar gewesen, dass es sich beim Spot um Provokation von dritter Seite gehandelt habe, eindeutig als Werbung erkennbar.