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Donnerstag
23.09.2021

Medien / Publizistik

«Plattformen kommen neutral daher. Sie sind es aber nicht»: Medienministerin Simonetta Sommaruga nimmt die GAFA ins Visier...                      (Foto: Klein Report)

«Plattformen kommen neutral daher. Sie sind es aber nicht»: Medienministerin Simonetta Sommaruga nimmt die GAFA ins Visier... (Foto: Klein Report)

Zum Auftakt des diesjährigen Swiss Media Forum hat die Medienministerin die Drohkulisse der «Plattformisierung» aufgebaut und die Rettung der Medienhäuser durch das neue Förderpaket beschworen.

In der Empfangshalle des Luzerner KKL spielte eine Band auf, als die Medienleute und Medienmanager am frühen Mittwochabend langsam eintrudelten. Nach den zahllosen Zoom-Meetings und Webinars der vergangenen Monate lag fast etwas Surreales in der Luft, als man sich nun mal wieder leibhaftig in die Augen sah und ein paar Worte wechselte.

Um 19 Uhr ging es dann hochoffiziell los: «Ich habe mir lange überlegt, was ich heute anziehen soll», begann Sommaruga ihre Eröffnungsrede mit einem Anfangsspässchen in eigener Sache. 

«In den letzten Tagen ist die Messlatte ja ständig höher gelegt worden. Zuerst mein Kollege mit dem Trychlerhemd, dann Alexandria Ocasio-Cortez mit dem Tax-the-rich-Kleid. Ich muss Ihnen offen sagen: Da kann mein Kleiderschrank nicht mithalten.»

In der folgenden halben Stunde zog die Medienministerin dann in mehreren Akten die Szenerie der «Plattformisierung» hoch, vor deren Hintergrund sie den von ihr selbst kürzlich lancierten «Mediendialog» sowie das umstrittene Medienförderungspaket zum Leuchten brachte.

Doch der Reihe nach. Dass sich immer mehr Leute nicht via Zeitungen oder auf den Webseiten der Medienhäuser informierten, sondern via Plattformen wie Facebook, verändere die Spielregeln in der Branche gewaltig.

«Bei den Nutzerinnen und Nutzern entsteht so zunehmend der Eindruck, dass die Plattformen die Inhalte produzieren. Darunter leiden Ihre Marken, und die Leserbindung nimmt ab», zitiert der Klein Report Simonetta Sommaruga aus dem Redetext.

Natürlich erwähnte die oberste Medienchefin im Land an dieser Stelle auch den desaströsen Abfluss der Werbegelder zu den grossen Vier, also Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA). Money follows attention, das eiserne Gesetz gelte ganz speziell im Online, wo Inhalte mehr denn je auf Klicks getrimmt werden müssten. 

«Die Folgen sind klar: Wo weniger Geld vorhanden ist, werden Redaktionen verkleinert und Zeitungen zusammengelegt. Die Bevölkerung wiederum bezahlt in einer neuen Währung – den persönlichen Daten», wo auch die grossen unter den Schweizer Medienhäusern mit den GAFA nicht mithalten könnten.

Ein weiteres Problem der «Plattformisierung»: «Plattformen kommen neutral daher. Sie sind es aber nicht. Wenige US-amerikanische und chinesische Firmen bestimmen darüber, welche Inhalte man den Schweizer Nutzerinnen und Nutzern auf den Plattformen anzeigt und welche nicht», referierte Simonetta Sommaruga weiter.

«Wenn Sie die NZZ oder die WoZ abonnieren, dann wissen Sie, von welchem Standpunkt aus die Welt betrachtet wird. Bei den Plattformen fehlt diese Form von Transparenz. Sie wissen nicht, ob Google eine bestimmte Haltung hat, man weiss nicht, welche, und man weiss vor allem nicht, wie man dies herausfinden könnte.»

Und auch auf die Schwächung der «vierten Gewalt» durch Facebook und Co. kam die Medienministerin im KKL zu sprechen. «In der Vergangenheit war es so: Wollten Politikerinnen und Politiker die breite Bevölkerung erreichen, erreichten sie diese über die Medien. Das bedeutete aber auch: Sie mussten kritische Nachfragen in Kauf nehmen, es gab Widerspruch, ihre Botschaft wurde eingeordnet, überprüft, beurteilt, kommentiert», erklärte sie den Medienschaffenden.

Heute seien die Politprofis nicht mehr im selben Mass auf die Medien angewiesen, um die Menschen zu erreichen.

Und schliesslich erreichte Sommarugas Diagnose der «Plattformisierung» die staatspolitische Ebene: «Die Plattformen sind mächtig. Eine demokratische Kontrolle über sie gibt es aber kaum.» Und weiter: «Das führt zur paradoxen Situation, dass für eine kleine Regionalzeitung klare Regeln gelten, während die Plattformen für die Behörden kaum greifbar sind.»

Fazit: «Diese Schwächung der einheimischen Medien kann sich eine direkte Demokratie wie die Schweiz auf die Dauer nicht leisten. Denn unsere Abstimmungsdemokratie lebt davon, dass Medien vor Ort sind. Grosse, international ausgerichtete Internetkonzerne können die lokalen Medien nicht ersetzen.»

Die Medienministerin leitet für sich daraus die Aufgabe ab, die Voraussetzungen für einen «starken und geeinten Medienplatz Schweiz» zu schaffen. Zum Beispiel über Kooperationen, «und zwar auch mit der SRG». 

Sommaruga erwähnte den Mediendialog, zu dem sie vor Kurzem Vertreter der Schweizer Meidenhäuser eingeladen hatte. «Vielleicht gibt es Möglichkeiten für gemeinsame Infrastrukturen, zum Beispiel beim Login.» Konkreter wurde sie nicht.

Vielleicht brauche es aber auch neue Instrumente wie das Leistungsschutzrecht. «Ich bin offen. Ich hoffe einfach, wir finden Lösungen, von denen der ganze Medienplatz profitieren kann.»

Und last but not least: das Medienpaket, über das nächstes Jahr abgestimmt wird.

«Ich weiss: Einige von Ihnen sind dafür, andere dagegen – und dritte wiederum sind sowohl dafür wie auch dagegen. Bei allen Differenzen wissen Sie aber alle, worum es geht: Die Bevölkerung will wissen, was in ihrer Region passiert. Darum unterstützt der Bund Zeitungen und private Lokalradios und das Regionalfernsehen seit Langem. Mit dem Medienpaket wird die Unterstützung nun verstärkt», so die Darstellung von Sommaruga.

Bei einem Nein drohe sich die Situation für die unabhängigen Medien weiter zu verschärfen. Immer mehr Zeitungen würden verschwinden, die Meinungsvielfalt nähme ab. «Sie können nicht vom Engadin aus über das Domleschg berichten, nicht von Sarnen über das Emmental und nicht von Sitten über Montreux. Es braucht Medien vor Ort.»

Und schiesslich verkehrte die Erfinderin der neuen Medienförderung das Kernargument ihrer Gegner kurzum in ins Gegenteil: Das Paket führe nicht etwa zu «Staatsmedien», sondern es stärke die Unabhängigkeit der Medien. Diese könne nämlich am besten geschützt werden, «wenn die Medien ihren Leserinnen und Nutzern verpflichtet sind – und nicht einem einzelnen Geldgeber».

Darum unterstütze das Medienpaket Zeitungen und einheimische Online-Angebote, die von ihrer Leserschaft mitfinanziert werden.