Ein deutscher Spitzenpolitiker macht abends an einer Bar lose Sprüche, eine Journalistin klagt darüber - und in ganz Deutschland kommt es zum Aufstand von Frauen und «Frauenverstehern» in Sachen Sexismus. Thema verfehlt! Die Journalistin und Medienprofessorin (Köln und Fribourg) Marlis Prinzing kommentiert für den Klein Report.
Es gibt sexistisches Verhalten. Es gibt Mannsbilder, die handgreiflich und gewalttätig werden gegenüber Frauen. Typen, die Frauen bedrängen, sie psychisch fertig machen, unter Druck setzen. Das ist skandalös, das ist kriminell und all dem muss ein Riegel vorgeschoben werden. Das sind alles keine Kavaliersdelikte. Es gibt Chefs, die ihre Position gegenüber Frauen ausnutzen, und Kollegen, die Seilschaften knüpfen, um gezielt Frauen kaltzustellen, und so fort. Das sind Themen!
Und gerade deshalb nervt mich der Grossteil des gegenwärtigen Getues rund um die lockeren Bemerkungen des FDP-Fraktionschefs Rainer Brüderle. Denn letztlich landen damit dumme Sprüche, alte Herrenwitze, eine Aufforderung zum Tanz sowie ein Handkuss mit wirklichen Übergriffen in einem Topf. Und verwässern damit die Ungeheuerlichkeit jener Übergriffe, gegen die man sich weit schwerer wehren kann.
Brüderle, sozialisiert in der alten Bonner Republik, in der die Herren ganz selbstverständlich das Sagen und das Tätscheln hatten, und steckengeblieben in Zeiten, in denen man mit Herrenwitzen sichere Lacher buchen konnte, ist sozusagen ein sexistisches Leichtgewicht. Das ist nicht nur eine Generationenfrage, Männer wie ihn gibt es auch heute noch. Aber: Himmel, Frauen, ist das wirklich ein grosses Thema? Wollen wir deshalb aufschreien? Und was würde folgen? Sollen wir lieber zu Hause oder allein unter Frauen bleiben, weil an Bars Männer manchmal doofe Sprüche klopfen? Wollen wir Opfer sein, demütig Generation um Generation wartend, bis «der Mann als solcher» sich gebessert und geläutert hat? Wollen wir uns sonnen im grossen Klagen, wie wehrlos wir sind? Uns in Schlabberkleider hüllen und für alle Fälle einen Schlabbersack in der Handtasche haben, den wir dem männlichen Gesprächspartner überwerfen, insbesondere dann, wenn er einen attraktiven Eindruck macht? Und wie steht es um jene unter uns, die sich lieber in Menschen gleichen Geschlechts verlieben?
Und noch ein Wort zur Distanz. Sie gegenüber allen zu wahren, über die man berichtet, ist ein Grundprinzip journalistischer Professionalität. Die Kritik der «Stern»-Journalistin, dass Brüderle an der Bar nicht über Politik reden wollte und sie gar zum Tanz aufforderte, kann ich nicht nachvollziehen. Erstens sind ihre «Erlebnisse» nicht so gravierend, dass sie sie zwingen, sich selbst zu thematisieren, was Journalisten ja nur in Ausnahmen tun sollten.
Zweitens muss man nicht mit an die Bar gehen. Drittens kann man Nein sagen. Und viertens müsste man dann Anlässe wie den Bundespresseball und sämtliche Landespressebälle, auf denen seit jeher auch Politiker mit Journalistinnen, Journalisten mit Politikerinnen tanzen, abschaffen, was absurd ist. Es sei denn, man geht davon aus, dass beim Walzer Indiskretionen geäussert werden, die sonst nie über die Lippen kämen...
Anders gesagt: Zwischen erklärter Gleichberechtigung und gelebter Gleichbehandlung liegen oft noch Welten, das ist ein Thema. Trotz Augenhöhe lassen viele Männer kaum eine Gelegenheit aus, ihre Macht zu demonstrieren, sie haben oft Mühe damit, Frauen mit realer Macht zu begegnen. Und unter diesen Frauen gibt es, wie auch unter Männern, solche, die mit Macht umzugehen wissen, und andere.
Übergriffiger Sexismus ist in der Tat ein Thema. Aber das, worüber in Deutschland gerade diskutiert wird, hat damit wenig zu tun. Hier geht es um Umgangsformen, darum, Grenzen zu zeigen und Antworten parat zu haben auf dumme Sprüche, die übrigens nicht nur sexistischen Inhalts sein können.